Internationaler Staatsmann ohne Staatsamt

1976 wird Willy Brandt Präsident der Sozialistischen Internationale (SI), an deren Spitze er sich für Frieden, Demokratie und Menschenrechte weltweit engagiert. Ab 1977 leitet der Altkanzler zudem die Nord-Süd-Kommission, die mit dem „Brandt-Report“ neue Vorschläge für eine globale Entwicklungspolitik zur Überwindung von Hunger und Armut macht. Als Spitzenkandidat seiner Partei zieht Brandt 1979 auch in das erstmals direkt gewählte Europäische Parlament ein. Trotz wachsender Differenzen mit Bundeskanzler Helmut Schmidt stützt der SPD-Vorsit­zende die sozial-liberale Koalition in Bonn bis zu ihrem Bruch 1982.

Alle Texte des multimedialen Zeitstrahls 1975-1982

Debatte über Linksterrorismus

Mit dem Mord am Berliner Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenkmann am 10. November 1974 und der Entführung des Berliner CDU-Politikers Peter Lorenz am 27. Februar 1975 erreicht der linksextreme Terrorismus in der Bundesrepublik eine neue Stufe.

Lorenz kommt in der Nacht zum 5. März 1975 frei. Um sein Leben zu retten, hat die von Helmut Schmidt (SPD) geführte Bundesregierung die Forderung der Geiselnehmer erfüllt und fünf Terroristen der „Bewegung 2. Juni“ und der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) in den Südjemen ausfliegen lassen.

In einer hitzigen Bundestagsdebatte am 13. März 1975 steht der SPD-Vorsitzende Willy Brandt zu dieser Entscheidung. In seiner Rede warnt er vor Demagogie im Kampf gegen den Terror. Brandt betont, gegen die Gewalt dürften nur rechtsstaatliche Mittel eingesetzt werden.

Reise nach Mexiko, USA und Venezuela

Erste Station seiner elftägigen Latein- und Nordamerikareise, zu der Willy Brandt am 21. März 1975 aufbricht, ist Mexiko. In den Gesprächen mit Staatspräsident Luis Echevería geht es vornehmlich um bessere Wirtschaftsbeziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern.

In den USA, die er anschließend besucht, hält Brandt u. a. Vorträge an der Vanderbilt University in Nashville und vor UNO-Botschaftern in New York. Zudem spricht der Altkanzler am 27. März 1975 in Washington mit Präsident Gerald Ford und Außenminister Henry Kissinger, die er um Unterstützung für die portugiesischen Demokraten bittet.

Zuletzt macht Brandt einen Abstecher nach Caracas zum venezolanischen Präsidenten Carlos Andres Péres. Vor der Bundespressekonferenz in Bonn zieht der SPD-Vorsitzende am 2. April 1975 Bilanz.

Besprechungen mit Kreisky und Palme

In Wien kommt Willy Brandt am 24./25. Mai 1975 mit Österreichs Kanzler Bruno Kreisky und Schwedens Ministerpräsidenten Olof Palme zusammen. Seit 1972 tauschen sich die Vorsitzenden der sozialdemokratischen Parteien ihrer Länder regelmäßig über Theorie und Praxis des demokratischen Sozialismus aus. Die Briefe und Gespräche der drei Politiker zu diesem Thema erscheinen im Herbst 1975 als Buch.

Bei dem Wiener Treffen denken Brandt, Kreisky und Palme, die auch privat miteinander befreundet sind, speziell über den Aufbau eines neuen internationalen Netzwerks nach. Dafür wollen sie weltweit auch Parteien und Bewegungen gewinnen, die den Ideen des demokratischen Sozialismus nahestehen, ohne aus der Arbeiterbewegung zu stammen. Neue Partner hofft Brandt vor allem in Mittel- und Südamerika zu finden.

Griechen­land- und Jugoslawien-Reise

Auf Einladung des konservativen Ministerpräsidenten Konstantinos Karamanlis besucht Willy Brandt vom 20. bis 24. Juni 1975 Griechenland. Der SPD-Vorsitzende drückt damit zum einen seine Verbundenheit mit dem Land aus, das nach dem Zusammenbruch der Militärdiktatur im Juli 1974 zur Demokratie zurückgekehrt ist.

Zum anderen will Brandt die sozialdemokratischen Kräfte in Griechenland und im Mittelmeerraum insgesamt stärken. Neben Gesprächen mit den Spitzenvertretern des Staates stehen für ihn daher in Athen auch Treffen mit linken Oppositionspolitikern auf dem Programm. Der deutsche Gast begrüßt und unterstützt den griechischen Antrag zum Beitritt in die Europäische Gemeinschaft. Am 24. Juni fliegt Brandt nach Belgrad, wo er tags darauf einmal mehr Jugoslawiens Staatspräsidenten Tito begegnet.

Besuch in der Sowjetunion

Wie ein Staatsgast wird Willy Brandt empfangen, als er am 2. Juli 1975 in Moskau eintrifft. Der SPD-Vorsitzende folgt einer Einladung von Generalsekretär Leonid Breschnew, mit dem er am 3. und 9. Juli zwei ausführliche Gespräche führt. Themen sind u. a. die deutsch-sowjetischen Beziehungen, die Zukunft der Entspannungspolitik nach dem in Kürze bevorstehenden Abschluss der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sowie die Entwicklung in Nahost und im Mittelmeerraum.

Zur Lage in Portugal übergibt Brandt einen Brief von Mário Soares an Breschnew und appelliert an ihn, mäßigend auf die portugiesischen Kommunisten einzuwirken. Während seines einwöchigen Besuchs in der Sowjetunion reist der Altkanzler auch nach Leningrad, Nowosibirsk (Sibirien) und Samarkand (Usbekistan).

KSZE-Schlussakte von Helsinki

33 europäische und die zwei nordamerikanischen Staats- und Regierungschefs unterzeichnen am 1. August 1975 in Helsinki die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Darin verpflichten sich die Staaten zur Unverletzlichkeit der Grenzen, zur Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, zur Wahrung der Menschenrechte und zur Ost-West-Kooperation in vielen Bereichen.

Die kommunistischen Regime in Osteuropa glauben, damit ihre Macht abgesichert zu haben. Im Westen hofft man, dass durch grenzüberschreitenden Austausch ein Wandel im Ostblock angestoßen werden könnte. In einem Interview würdigt der SPD-Vorsitzende Willy Brandt die Schlussakte als historisches Dokument. Er warnt aber vor zu großen Erwartungen, nicht zuletzt für das deutsch-deutsche Verhältnis.

Solidaritätskomitee für Portugal

Die Vorsitzenden sozialdemokratischer und sozialistischer Parteien Westeuropas, darunter Harold Wilson, Olof Palme, Bruno Kreisky, Joop den Uyl und François Mitterrand, wählen Willy Brandt am 5. September 1975 in London an die Spitze des „Komitees für Freundschaft und Solidarität mit Demokratie und Sozialismus in Portugal“. Das einen Monat zuvor in Stockholm gegründete Solidaritätskomitee verabschiedet zudem ein Aktionsprogramm.

Brandt und seine Freunde befürchten einen kommunistischen Putsch in Portugal wie in der Tschechoslowakei 1948. In den Reihen des Komitees wird für diesen Fall sogar erwogen, die demokratischen Kräfte, die von Mário Soares und seiner Sozialistischen Partei angeführt werden, militärisch zu unterstützen. Die US-Regierung glaubt dagegen, Portugal sei für den Westen schon verloren.

SPD-Bundesparteitag in Mannheim

Mit 407 von 418 Stimmen wählt die SPD am 14. November 1975 auf ihrem Bundesparteitag in Mannheim Willy Brandt wieder zum Vorsitzenden. In der „Troika“ mit Bundeskanzler Helmut Schmidt und Fraktionschef Herbert Wehner sorgt Brandt für den Zusammenhalt der Partei. Ungeachtet persönlicher Reibungen unterstützt er loyal Schmidts Regierungspolitik.

Wichtigster innenpolitischer Beschluss ist der „Orientierungsrahmen ʼ85“, der Leitlinien für die Reformpolitik der SPD in den nächsten zehn Jahren vorgibt. In der Debatte über internationale Fragen steht erstmals der Nord-Süd-Konflikt im Fokus. In Anwesenheit von 36 Gastdelegationen aus aller Welt kündigt Brandt die Gründung einer „Allianz für Frieden und Fortschritt“ an, um Kontakte zu nichtkommunistischen Linksparteien außerhalb Europas aufzubauen.

Hilfe für Portugal und Spanien

In einer Pressekonferenz nimmt Willy Brandt am 19. Dezember 1975 in Bonn ausführlich Stellung zur Entwicklung auf der Iberischen Halbinsel. In Portugal ist es den demokratischen Kräften inzwischen gelungen, die Kommunisten und Linksradikalen entscheidend zurückzudrängen. Spanien steht nach dem Tod des Diktators Francisco Franco am 20. November 1975 vor einem politischen Neuanfang.

Brandt fordert das demokratische Europa auf, beiden Ländern beim Aufbau der Demokratie zu helfen. Zugleich bekräftigt er die Unterstützung der SPD für die Sozialistischen Parteien Portugals und Spaniens. Mit deren Anführern, Mário Soares und Felipe González, tauscht sich der SPD-Vorsitzende regelmäßig aus. Zwischen Brandt und dem erst 33 Jahre alten González entsteht rasch ein besonderes Vertrauensverhältnis.

Briefwechsel mit Breschnew

Seit seinem Besuch in der Sowjetunion Anfang Juli 1975 schreiben sich Willy Brandt und Leonid Breschnew Briefe, in denen sie sich über die internationale Lage und die deutsch-sowjetischen Beziehungen austauschen. In einem Schreiben Ende 1975 beschwert sich Breschnew verklausuliert darüber, dass vom Westen unter Berufung auf die KSZE-Schlussakte die Wahrung der Menschenrechte in Osteuropa eingefordert werde.

In seiner Antwort vom 7. Januar 1976 räumt der SPD-Vorsitzende ein, „mancherorts“ habe es eine „einseitige, zuweilen auch illusionäre Beurteilung und Auslegung der Konferenzergebnisse“ gegeben. Brandt rät Breschnew aber auch, eigene Versäumnisse zu prüfen. Er gibt zu verstehen, dass sowjetische Rüstungsprojekte und die Entwicklung in Portugal die Entspannung nicht gefördert haben.

Fotohappening mit Andy Warhol

In der Bonner Galerie Wünsche trifft Willy Brandt am 18. Februar 1976 Andy Warhol. Der US-Künstler möchte Porträts des Altkanzlers anfertigen und damit seine Reihe mit Bildern von Persönlichkeiten aus Kultur und Politik vervollständigen. Beobachtet von rund 80 Journalisten, macht Warhol binnen einer halben Stunde insgesamt 26 Polaroidaufnahmen von Brandt.

Nach den Fotovorlagen erstellt er danach fünf Acryl-Siebdrucke auf Leinwand, die sechs Wochen später fertig sind. Am 3. Juli 1976 werden sie der Öffentlichkeit präsentiert. Vier Bilder, die sich trotzdem voneinander unterscheiden, zeigen Willy Brandt, wie er eine Zigarette mit Zigarettenspitze an den Mund hält. Das Motiv in grell leuchtenden Farben ist ein Klassiker der Pop Art. Eines der Kunstwerke wird zugunsten von UNICEF verkauft.

Kandidatur als SI-Präsident?

Kurz nach Ostern 1976 spricht sich Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky öffentlich für Willy Brandt als neuen Präsidenten der Sozialistischen Internationale (SI) aus. Brandt, der gerade einen zehntägigen Urlaub auf der Mittelmeerinsel Malta verbringt, verneint umgehend sein Interesse an dem bald freiwerdenden Amt.

In einem Schreiben an Kreisky bekräftigt er am 26. April 1976 seine Ablehnung, die er schon Mitte März in Porto bei einem Treffen des Solidaritätskomitees für Portugal geäußert hat. Als Gegengründe nennt Brandt neben seiner Arbeitsbelastung als SPD-Vorsitzender insbesondere den miserablen organisatorischen Zustand der SI. Der ungewöhnlich lange Brief lässt sich aber auch als Liste von Forderungen lesen, von deren Erfüllung Brandt seine Bereitschaft zur Kandidatur abhängig macht.

Buch „Begegnungen und Einsichten“

Zwei Jahre nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler legt Willy Brandt sein zweites autobiografisches Werk vor. Das Buch „Begegnungen und Einsichten“, das die Jahre von 1960 bis 1975 behandelt, ist allerdings im Wesentlichen von Klaus Harpprecht geschrieben worden.

Der Erinnerungsband basiert stark auf vertraulichen Akten und Aufzeichnungen über die Gespräche, die Brandt als Regierender Bürgermeister in Berlin, als Außenminister der Großen Koalition und als Bundeskanzler in Bonn mit internationalen Politikern geführt hat. Erstmals gibt er öffentlich preis, im September 1962 einen sowjetischen Angriff auf West-Berlin befürchtet zu haben.

Noch vor dem Erscheinen des Buchs druckt das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ab dem 17. Mai 1976 in sechs Folgen längere Auszüge ab.

„Allianz für Frieden und Fortschritt“

13 europäische und 15 lateinamerikanische Parteien sind vom 22. bis 25. Mai 1976 beim Auftakt der „Allianz für Frieden und Fortschritt“ in Venezuelas Hauptstadt Caracas dabei.

Das Diskussionsforum, dessen Gründung Willy Brandt ein halbes Jahr zuvor verkündet hat, soll die Kräfte des demokratischen Sozialismus in der Welt zusammenführen. Diese Idee stößt in Lateinamerika auf starke Resonanz. Ein Grund ist nicht zuletzt das sehr hohe Ansehen, das Brandt international genießt.

In einer Grundsatzrede grenzt sich der SPD-Vorsitzende sowohl von kommunistischen und linksradikalen Bewegungen als auch von einem „überkommenen Kapitalismus“ ab. Brandts Bekenntnis zur „politischen und sozialen Reform in gesellschaftlicher Freiheit“ schließen sich alle Teilnehmer des Treffens in der „Erklärung von Caracas“ an.

SPD-Wahlparteitag in Dortmund

Mit einem außerordentlichen Parteitag in der Dortmunder Westfalenhalle läutet die SPD am 18./19. Juni 1976 die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs ein. Die Delegierten und tausende Anhänger feiern Bundeskanzler Helmut Schmidt und den Parteivorsitzenden Willy Brandt, die ihre Einigkeit demonstrieren. Die SPD will am 3. Oktober 1976 die sozial-liberale Mehrheit gegen die CDU/CSU und ihren Kanzlerkandidaten Helmut Kohl verteidigen.

Für hitzige Debatten im Wahlkampf sorgen besonders die Slogans der CDU/CSU: „Freiheit statt Sozialismus“ bzw. „Freiheit oder Sozialismus“. Brandt wird nicht müde zu betonen, dass die beiden Begriffe für die Sozialdemokraten keinen Gegensatz darstellen, sondern zusammengehören. Die SPD wirbt mit dem Titel ihres Regierungsprogramms: „Modell Deutschland“.

Schnappschuss mit Mandoline

Auch im Bundestagswahlkampf 1976 ist Willy Brandt wieder viel unterwegs. Zu den Terminen des SPD-Vorsitzenden gehört am 17. Juli 1976 auch eine Wanderung mit Parteifreunden in der Senne, einer Landschaft südlich von Bielefeld am Rande des Teutoburger Waldes.

Während einer Rast macht ein Mitarbeiter der Öffentlichkeitsabteilung des Parteivorstands ein Foto, das bald Kultstatus erlangt. Auf einer Mandoline, die eine Frau mitgebracht hat, übt Brandt in lässiger Haltung ein paar Griffe, die er als Kind in Lübeck gelernt hat.

Aus dem Schnappschuss macht die SPD-Zentrale 1977 ein Plakat. Es ist unter SPD-Anhängern sehr begehrt und verkauft sich bis heute gut. Im Gegensatz zum Poster sind auf der Originalaufnahme im Hintergrund einige von Brandts Begleitern zu sehen.

Bundestagswahl: Knapper Sieg der SPD/FDP-Koalition

Bei der Wahl zum 8. Deutschen Bundestag behält die sozial-liberale Koalition trotz Verlusten mit 253 Sitzen die Oberhand. Die SPD mit Bundeskanzler Helmut Schmidt erzielt 42,6%, die FDP mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher 7,9% der Stimmen. Mit 48,6% und 243 Sitzen verfehlen die CDU/CSU und ihr Kanzlerkandidat Helmut Kohl die absolute Mehrheit nur knapp.

In der am Wahlabend vom Fernsehen ausgestrahlten „Bonner Runde“ der Parteivorsitzenden erkennt Willy Brandt zwar die Zugewinne der Union an. Doch zugleich unterstreicht er, dass SPD und FDP den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen haben.

Nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen wird Helmut Schmidt am 15. Dezember 1976 vom Bundestag wieder zum Kanzler gewählt. Er erhält jedoch nur eine Stimme mehr als unbedingt erforderlich.

Präsident der Sozialistischen Internationale

Auf dem XIII. Kongress der Sozialistischen Internationale in Genf wird Willy Brandt am 26. November 1976 zum neuen Präsidenten der SI gewählt. Mit Rücksicht auf die Bundestagswahl hat der SPD-Vorsitzende erst Ende Oktober bei einer inoffiziellen Parteiführer-Konferenz in Portugal dem Drängen seiner internationalen Freunde nachgegeben und sich zur Kandidatur bereit erklärt.

In der Rede nach seiner Wahl ruft Brandt die Internationale zu drei Offensiven auf: für den Frieden, für neue Nord-Süd-Beziehungen und für die Menschenrechte. Um den Hunger zu beseitigen, die Krise der Weltwirtschaft zu überwinden und die Umwelt zu schützen, fordert er ein radikales Umdenken. Brandt will der Parteienfamilie der SI wieder Gehör in der Weltpolitik verschaffen und über Europa hinaus neue Mitglieder gewinnen.

Beim Parteitag der Sozialisten Spaniens

37 Jahre nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs kann die Sozialistische Arbeiterpartei Spaniens (PSOE) erstmals wieder einen Parteitag im Inland abhalten. Am 5. Dezember 1976 besucht Willy Brandt den in Madrid stattfindenden Kongress. Seine Gastrede hält der SPD-Vorsitzende auf Spanisch, das er in der Schule und bei seinem Aufenthalt in Barcelona 1937 ein wenig gelernt hat.

Wie sehr ihn der Auftritt bewegt, zeigt schon Brandts erster Satz: „Wenn es zu den Pflichten eines guten Politikers gehört, seine Emotionen zu verbergen, so werde ich in diesem Augenblick kein Politiker sein.“ Die PSOE-Delegierten ruft er auf, „mitzuwirken, ohne Trauma und Groll, beim Aufbau eines demokratischen Spanien als unverzichtbaren Bestandteil einer europäischen Staatengemeinschaft. Europa wartet auf Euch.“

Vorschlag für Nord-Süd-Kommission

In einer Rede in Boston macht Weltbankpräsident Robert S. McNamara am 14. Januar 1977 einen Aufsehen erregenden Vorschlag: Um den Stillstand in den Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu überwinden, solle eine unabhängige Nord-Süd-Kommission unter der Leitung von Willy Brandt gegründet werden.

In einem Brief, der dem deutschen Altkanzler am 28. Dezember 1976 in seinem südfranzösischen Urlaubsort übergeben worden ist, hat McNamara zuvor um Zustimmung gebeten, diese Idee öffentlich vortragen zu dürfen. Brandt willigt ein. Jeder Anschein eines Konflikts mit den seit 1975 in Paris laufenden Nord-Süd-Gesprächen der Konferenz über internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit (KIWZ) müsse aber vermieden werde, heißt es in seinem Schreiben vom 28. Januar 1977 an McNamara.

Beim Parteitag der Arbeiterpartei Israels

Gemeinsam mit Olof Palme, François Mitterrand und Bruno Kreisky nimmt Willy Brandt am 22. Februar 1977 an der Eröffnung des Parteitags der israelischen Arbeitspartei in Jerusalem teil. In seiner Rede appelliert der Präsident der Sozialistischen Internationale an die Verantwortlichen im Nahen Osten, den Krieg als Möglichkeit der Politik zu streichen und über Verhandlungen einen fairen Ausgleich zu suchen.

Brandt bekräftigt das Existenzrecht Israels, wozu sichere und anerkannte Grenzen gehörten. Zugleich spricht er sich dafür aus, den Palästinensern die Verwirklichung ihrer nationalen Identität zu ermöglichen. Die Arbeitspartei aber lehnt eine Anerkennung der PLO weiter ab. Der Parteitag ist geprägt vom Machtkampf zwischen Ministerpräsident Itzhak Rabin und seinem Rivalen Shimon Peres.

USA-Reise

Bei seinem fünftägigen Besuch in den USA wird Willy Brandt am 8. März 1977 vom neuen Präsidenten Jimmy Carter empfangen. Bei dem knapp halbstündigen Termin im Weißen Haus sind u. a. auch Vizepräsident Walter Mondale und Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski dabei.

Veröffentlichungen in den US-Medien, wonach Brandt in den 1950er Jahren Geld von der CIA erhalten habe, haben im Vorfeld einigen Staub aufgewirbelt. Auf Bitten des Altkanzlers hat Carter die Berichte aber schon Ende Februar als „grundlose Gerüchte“ eingestuft.

Am 8. März spricht Brandt in Washington auch mit Weltbankpräsident McNamara über die Gründung einer Nord-Süd-Kommission, die der SPD-Vorsitzende zu leiten grundsätzlich bereit ist. Während dieser Amerika-Reise hält Brandt sich auch in Boston, Princeton und New York auf.

Parteiverfahren gegen Juso-Chef

Affären und Rücktritte in den Landesverbänden Hessen und Berlin, Dauerstreit in München und linksradikale „Stamokap“-Jusos belasten die SPD im Frühjahr 1977 schwer. Das muss der Vorsitzende Willy Brandt in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ einräumen.

Besonderen Ärger bereitet ihm der Juso-Bundesvorsitzende Klaus-Uwe Benneter, der die Parteimitgliedschaft der Jusos in Frage stellt und sich nicht an die Abgrenzungsbeschlüsse gegenüber den Kommunisten halten will. Der Parteivorstand setzt daher am 27. April 1977 Benneters Mitgliedsrechte aus und beantragt den Parteiausschluss, um Schaden von der SPD und den Jusos abzuwenden, so Brandt in einer Erklärung.

Im September 1977 folgt die Bundesschiedskommission dem Antrag und schließt Benneter aus. 1983 nimmt ihn die SPD wieder auf.

Brief an Unterzeichner der „Charta 77“

Anfang 1977 haben Bürgerrechtler in der Tschechoslowakei eine Petition veröffentlicht, die das kommunistische Regime in Prag unter Berufung auf die KSZE-Schlussakte von 1975 zur Achtung der Menschenrechte auffordert. Zu den Erstunterzeichnern der „Charta 77“ zählt der frühere tschechoslowakische Außenminister Jiří Hájek. In einem Schreiben vom 17. Mai 1977 lässt Willy Brandt seinen einstigen Amtskollegen wissen, mit wie viel Respekt er dessen Engagement verfolge.

Der Ankündigung von US-Präsident Jimmy Carter, auch gegenüber dem Ostblock stärker auf die Einhaltung der Menschenrechte pochen zu wollen, begegnet er aber mit gemischten Gefühlen. Brandt will die Menschenrechte nicht gegen die Entspannungspolitik ausspielen, wie er Ende August 1977 in einem Artikel für „Die Zeit“ schreibt.

Besuch in Polen

Sechseinhalb Jahre nach seinem ersten Besuch reist Willy Brandt Ende Juni 1977 für vier Tage nach Polen. Begleitet von seiner Frau Rut sowie den SPD-Politikern Hans-Jürgen Wischnewski und Karsten D. Voigt, trifft er in Warschau mit den Spitzen des kommunistischen Regimes zusammen.

Wichtigster Gesprächspartner ist Edward Gierek, der Erste Sekretär der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP), der den deutschen Gast auch in ein Erholungsheim nach Rybaki (früher Lansk) in Masuren einlädt. Zudem besucht Brandt die Stadt Thorn und das ehemalige deutsche KZ Stutthof in der Nähe von Danzig.

Im Anschluss an die Polen-Reise hält sich der SPD-Vorsitzende und SI-Präsident vom 1. bis 5. Juli 1977 in Helsinki auf, wo er u. a. mit der Führung der sozialdemokratischen Partei Finnlands zusammentrifft.

Chile-Konferenz in Rotterdam

Organisiert von der Sozialistischen Internationale (SI), der niederländischen Partij van de Arbeid und dem Institute for the New Chile findet Ende August 1977 in Rotterdam eine dreitägige Konferenz über die „Zukunftsperspektiven für Chile“ statt.

In seiner Eröffnungsansprache drückt SI-Präsident Willy Brandt seine Solidarität mit den Opfern der seit September 1973 herrschenden Diktatur des Generals Augusto Pinochet aus. Zugleich gibt er sich hoffnungsvoll, dass sich auch in Chile Freiheit und Demokratie gegen Unterdrückung, Folter und Willkür durchsetzen werden.

Brandt ruft alle demokratischen Kräfte des Landes zur Zusammenarbeit auf und sagt ihnen die Unterstützung der SI zu. Unausgesprochen befürwortet er damit die Aufnahme der chilenischen Christdemokraten in das Oppositionsbündnis.

Gründung der Nord-Süd-Kommission

Am Sitz der UNO in New York gibt Willy Brandt am 28. September 1977 vor der internationalen Presse die Gründung der „Unabhängigen Kommission für Internationale Entwicklungsfragen“ unter seiner Leitung bekannt.

Die Entscheidung fällt nach monatelangem Zögern. In zahlreichen Gesprächen mit Außenministern und Botschaftern ist es dem Altkanzler gelungen, die Bedenken einiger Entwicklungsländer gegen die von Weltbankpräsident Robert McNamara vorgeschlagene Nord-Süd-Kommission auszuräumen.

Brandt ist nun davon überzeugt, dass das Gremium Lösungsmöglichkeiten für den Nord-Süd-Konflikt aufzeigen kann, den er als die „entscheidende soziale Frage für den Rest unseres Jahrhunderts“ bezeichnet. Seine Hauptaufgabe bleibe aber der SPD-Vorsitz, betont er in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.

RAF-Terror im „Deutschen Herbst“

1977 fordert die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) den Staat direkt heraus. Die Entführung von Arbeitergeberpräsident Hanns Martin Schleyer am 5. September und die Kaperung einer Lufthansa-Maschine am 13. Oktober versetzt die Bundesrepublik in einen Ausnahmezustand.

Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) lehnt es ab, die Forderung der Entführer zu erfüllen und elf RAF-Terroristen freizulassen. Am 18. Oktober 1977 werden die verbliebenen 86 Flugzeuggeiseln in Mogadischu befreit, woraufhin sich drei führende RAF-Mitglieder in der Haft selbst töten. Noch am selben Tag wird Schleyer von seinen Entführern ermordet.

Willy Brandt, der wie die Vorsitzenden von CDU, CSU und FDP dem Kanzler im Krisenstab zur Seite gestanden hat, äußert sich zu den Geschehnissen in einem Beitrag für die „Hamburger Morgenpost“ vom 22. Oktober 1977.

SPD-Bundesparteitag in Hamburg

Der Bundesparteitag der SPD vom 15. bis 19. November 1977 in Hamburg bringt keine Überraschung bei der Wahl des Parteivorsitzenden: Willy Brandt wird mit 413 von 433 Stimmen wiedergewählt.

Das Thema, das die Delegierten besonders intensiv diskutieren, ist die Energiepolitik. Erhard Eppler steht an der Spitze derer, die den von Bundeskanzler Helmut Schmidt geforderten Ausbau der Atomkraft ablehnen. Der schleswig-holsteinische Landesverband, der gegen das AKW Brokdorf kämpft, hat sich bereits prinzipiell gegen die Kernenergie ausgesprochen.

Brandt wirkt daran mit, dass der Parteitag die Kompromissformel „Optionen offenhalten“ verabschiedet. Vorerst hält die SPD einen Verzicht auf die Kernenergie für nicht vertretbar. Ohne Klärung der Entsorgungsfrage soll es aber auch keine neuen AKW geben.

Erste Sitzung der Nord-Süd-Kommission

Als ihr Vorsitzender eröffnet Willy Brandt am 9. Dezember 1977 auf Schloss Gymnich bei Bonn die erste Sitzung der „Unabhängigen Kommission für Internationale Entwicklungsfragen“. Die von ihm selbst ausgewählten weiteren 20 Mitglieder des Gremiums stammen aus sieben Industrie- und elf Entwicklungsländern.

Die Nord-Süd-Kommission deckt ein breites politisches Spektrum ab. Prominenteste Mitglieder sind der britische Konservative Edward Heath, der schwedische Sozialdemokrat Olof Palme, der chilenische Christdemokrat Eduardo Frei und der guyanische Generalsekretär des Commonwealth, Shridath Ramphal.

In seiner Begrüßungsansprache zeigt sich Brandt optimistisch, dass seine Kommission den Geist der Konfrontation zwischen Nord und Süd abbauen und durch größeres gegenseitiges Interesse ersetzen kann.

Reise nach Asien und Afrika

Am 17. Dezember 1977 bricht Willy Brandt zu einer dreiwöchigen Asien- und Afrika-Reise auf. Erste Station ist Tokio. Dort hält der 65-Jährige sich drei Tage auf, um an einer Parteiführerkonferenz der Sozialistischen Internationale (SI) teilzunehmen. Außerdem spricht er mit der japanischen Regierung, u. a. mit Premierminister Takeo Fukuda, über die Arbeit der Nord-Süd-Kommission.

Am 20. Dezember reist Brandt für vier Tage nach Indien, wo er neben dem Staatspräsidenten und dem Ministerpräsidenten sowie hochrangigen Ministern des Landes auch die ehemalige Premierministerin Indira Gandhi trifft. Auf einer internationalen Pressekonferenz in Neu-Delhi stellt der Vorsitzende der Nord-Süd-Kommission am 22. Dezember das Arbeitsmandat („terms of reference“) vor, das bei der ersten Sitzung des Gremiums auf Schloss Gymnich beschlossen worden ist. Ausgehend von der „Notwendigkeit einer neuen Weltwirtschaftsordnung“, will die Kommission die Nord-Süd-Beziehungen neu denken: Das Wort „Hilfe“ soll durch die Idee der „Interdependenz“ und der „Gemeinsamkeit von Interessen“ ersetzt werden.

Begleitet von seinem jüngsten Sohn Matthias verbringt Willy Brandt Weihnachten auf Mauritius. Es folgt ein dreitägiger Besuch in Tansania. Höhepunkte sind am 27. Dezember ein Flug von Daressalam über den Kilimandscharo, den Ngorongoro-Krater und die Serengeti zum Victoriasee und die anschließende Begegnung mit Präsident Julius Nyerere in dessen Heimatdorf Butiama. Tags darauf fliegt Brandt weiter nach Sambia.

Fortsetzung der Afrika-Reise

In Sambias Hauptstadt Lusaka, in der er sich seit dem 28. Dezember aufhält, trifft Willy Brandt um den Jahreswechsel 1977/78 mehrmals mit Staatspräsident Kenneth Kaunda zusammen. Themen sind vor allem die Nord-Süd-Kommission und die Lage im südlichen Afrika.

Erstmals spricht Brandt auch mit führenden Vertretern der Befreiungsbewegungen aus Rhodesien (ZAPU und ZANU), Namibia (SWAPO) und Südafrika (ANC), die für das Ende der Unterdrückung der Schwarzen durch weiße Minderheitsregierungen kämpfen. Sanktionen gegen das südafrikanische Apartheid-Regime schließt der SPD-Vorsitzende danach nicht mehr aus.

Nach einem Zwischenstopp in Nairobi kehrt er am 7. Januar 1978 nach Deutschland zurück. Zu den Ergebnissen seiner dreiwöchigen Reise gibt Brandt der „Frankfurter Rundschau“ anschließend ein Interview.

Brandt-Kommission in Mont Pèlerin

Vom 10. bis 12. März 1978 kommen die Mitglieder der Nord-Süd-Kommission in Mont Pèlerin (Schweiz) zu ihrer zweiten Sitzung zusammen. In dem Ort oberhalb des Genfer Sees verabschieden sie ein Arbeitsprogramm und hören Experten an. Um die zentrale Leitidee der „Gemeinsamkeit von Interessen“ zwischen Industrie- und Entwicklungsländern näher zu definieren, stellt Willy Brandt ein von ihm selbst verfasstes Zehn-Punkte-Papier zur Diskussion.

Der Kommissionsvorsitzende ist überzeugt: Die globalen Probleme auf den Gebieten von Rüstung, Wirtschaft und Umwelt lassen sich nur noch durch internationale Zusammenarbeit lösen, deren wichtigste Antriebsfeder das gemeinsame Interesse der Staaten am Überleben der Menschheit ist. In der Kommission stoßen Brandts Überlegungen auf viel Zustimmung.

SI-Abrüstungskonferenz in Helsinki

In Helsinki findet vom 24. bis 26. April 1978 eine Abrüstungskonferenz der Sozialistischen Internationale (SI) statt, an der erstmals auch Vertreter der sowjetischen Kommunisten teilnehmen. In seiner Rede betont Willy Brandt, das Wettrüsten könne nur beendet werden, wenn die Politik der Entspannung zwischen Ost und West fortgesetzt werde.

Die USA und die Sowjetunion fordert der SI-Präsident auf, Schrittmacher für Rüstungskontrolle und Abrüstung zu sein und das zweite Abkommen zur Begrenzung strategischer Atomwaffen (SALT II) bald abzuschließen. Den Entschluss von US-Präsident Jimmy Carter vom 7. April 1978, die Entscheidung über die Produktion der „Neutronenbombe“ zu verschieben, begrüßt Brandt. Gegen diese besonders stark strahlende Atomwaffe gibt es in Westeuropa große Widerstände.

Besuche in Senegal, Mali und Algerien

Mitte Mai 1978 besucht Willy Brandt erneut den afrikanischen Kontinent. In der senegalesischen Hauptstadt Dakar tagt am 12./13. Mai das „Büro“ der Sozialistischen Internationale. Dies ist die erste Sitzung eines SI-Gremiums in Afrika.

Wie die Caracas-Konferenz 1976 dient die Tagung vor allem der Kontaktaufnahme mit Parteien aus der Region, die der Internationale noch nicht angehören. Die Idee für ein solches Treffen geht auf einen Brief des SPD-Vorsitzenden an Senegals Präsident Senghor zurück.

Vom 14. bis 17. Mai nimmt Brandt in Bamako (Mali) an der dritten Sitzung der Nord-Süd-Kommission teil. Anschließend hält er sich vom 19. bis 21. Mai in Algerien auf. Höhepunkt ist ein dreieinhalbstündiges Gespräch mit Staatspräsident Boumedienne, den Brandt schon einmal im April 1974 getroffen hat.

Reise nach Bulgarien und Rumänien

Nach Begegnungen mit dem ungarischen Staats- und Parteichef János Kádár Ende März in Budapest und mit dem sowjetischen Generalsekretär Leonid Breschnew Anfang Mai in Bonn spricht Willy Brandt Anfang Juni 1978 in Sofia und in Bukarest auch mit den kommunistischen Führern Bulgariens und Rumäniens. Bei seinen Treffen mit Todor Schiwkow und Nicolae Ceaușescu geht es vorrangig um die Zukunft der Ost-West-Entspannung und um die Entwicklungspolitik.

Brandt informiert seine Gesprächspartner über die Arbeit der von ihm geleiteten Nord-Süd-Kommission und wirbt für blockübergreifende Zusammenarbeit gegen den Hunger in der Welt. Dass er in Bukarest öffentlich die Idee einer internationalen Steuer für Entwicklungsvorhaben gutheißt, stößt in der Bundesrepublik allerdings auf scharfe Kritik der CDU/CSU.

Tour durch Hauptstädte Europas

Vom 4. bis 19. Juli 1978 unternimmt Willy Brandt eine Rundreise durch die Hauptstädte der Europäischen Gemeinschaft. In London, Dublin, Paris, Rom, Bonn, Luxemburg, Den Haag, Brüssel und Kopenhagen informiert er Regierungschefs und Minister sowie Vertreter internationaler Organisationen persönlich über die Beratungen der von ihm geleiteten Nord-Süd-Kommission.

Am 9. Juli 1978 macht Brandt auch in Wien Station. Dort nimmt er gemeinsam mit Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky an einem Gespräch zwischen dem ägyptischen Staatspräsidenten Anwar al-Sadat und dem israelischen Oppositionsführer Shimon Peres teil. In einer Erklärung appellieren sie an Ägypten und Israel, ihre Friedensverhandlungen fortzusetzen. In Rom wird Brandt am 13. Juli 1978 von Papst Paul VI. zu einer Privataudienz empfangen.

Treffen der Nord-Süd-Kommission in den USA

In Tarrytown, nahe New York, versammeln sich Ende August 1978 die Mitglieder der Nord-Süd-Kommission zu ihrer vierten Sitzung. Auf der Tagesordnung finden sich neben dem Thema Interdependenz diesmal u. a. die Punkte Verschuldung, Ressourcentransfer, Arbeitsmigration und „brain drain“ sowie Ernährung und Landwirtschaft.

Am Anfang steht wie immer der „Chairman’s Report“. Darin informiert Willy Brandt seine Kollegen nicht zuletzt über die zahlreichen Gespräche, die er in den Monaten zuvor mit Staatsmännern aus aller Welt geführt hat.

Auch der kubanische Staatschef Fidel Castro würde sich gern mit dem Kommissionsvorsitzenden treffen, wie Jan Pronk ihm berichtet. Bei einer Kuba-Reise im Juli 1978 hat der niederländische Schatzmeister der Kommission einen Brief von Brandt an Castro übergeben.

Termine in Ljubljana, Paris und Estoril

Auch im September 1978 stehen für Willy Brandt mehrere Auslandstermine auf dem Programm. Zunächst besucht er Jugoslawien, das eine wichtige Rolle in der Blockfreien-Bewegung spielt. Mit führenden Politikern des Landes, voran Staatschef Tito, tauscht Brandt sich am 7./8. September in Ljubljana über die Arbeit der Nord-Süd-Kommission aus.

Drei Wochen später nimmt der 64-Jährige in Paris an einer Tagung des „Büros“ der Sozialistischen Internationale teil. Unter der Leitung ihres Präsidenten fasst die SI den Beschluss, die gegen das Somoza-Regime rebellierende Opposition in Nicaragua zu unterstützen. Im Anschluss reist Brandt ins portugiesische Estoril, wo vom 30. September bis 2. Oktober die Konferenz „Demokratisierungsprozesse auf der Iberischen Halbinsel und in Lateinamerika“ stattfindet.

Aufenthalt in New York und Washington

Ende Oktober 1978 fliegt Willy Brandt ein weiteres Mal in die USA. Ein Jahr nach Gründung der Nord-Süd-Kommission will er internationale Organisationen, UN-Botschafter aus „Dritte-Welt“-Staaten und die US-Regierung über den Arbeitsstand des Gremiums informieren.

In New York spricht Brandt am 26. Oktober mit UN-Generalsekretär Kurt Waldheim, der den für Herbst 1979 vorgesehenen Abschlussbericht der Kommission als Erster erhalten soll. Am selben Tag fordert der deutsche Altkanzler in einer Rede vor der United Nations Association eine neue internationale Ordnung.

In Washington nimmt Brandt am 28. Oktober noch an einem Essen beim German Marshall Fund teil, ehe er alle Termine absagen und mit Fieber das Bett hüten muss. Dass der 64-Jährige einen „stillen“ Herzinfarkt erleidet, wird nicht erkannt.

Herzkrank beim SI-Kongress in Vancouver

Obwohl er gesundheitlich schwer angeschlagen ist, reist Willy Brandt Anfang November 1978 von Washington aus ins kanadische Vancouver zum Kongress der Sozialistischen Internationale (SI). Er soll und will dort auftreten, weil nicht zuletzt seine Wiederwahl als SI-Präsident ansteht. Die Bestätigung im Amt ist Formsache. Doch Brandt geht es bei seiner Rede so schlecht, dass er sich ans Rednerpult klammern muss, wie er später in einem „Spiegel“-Gespräch berichtet.

Erst nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik stellen die Ärzte Mitte November 1978 fest, dass Brandt inzwischen zwei Infarkte an der vorderen Herzwand erlitten und eine Lungenentzündung verschleppt hat. Der SPD-Vorsitzende wird im Bonner Elisabeth-Krankenhaus behandelt und muss alle beruflichen Verpflichtungen bis auf Weiteres ruhen lassen.

65. Geburtstag im Krankenhaus

Seinen 65. Geburtstag verbringt Willy Brandt im Elisabeth-Krankenhaus in Bonn, wo er seit Mitte November wegen zweier Herzinfarkte behandelt wird. Das von der SPD in der Dortmunder Westfalenhalle geplante große Fest zu Ehren ihres Vorsitzenden ist deshalb abgesagt worden. Trotz seiner Erkrankung haben ihn die Sozialdemokraten am 9./10. Dezember 1978 auf einem außerordentlichen Parteitag in Köln zum Spitzenkandidaten für die Europawahl im Juni 1979 gekürt.

Kurz bevor er an Heiligabend das Krankenhaus endlich verlassen kann, meldet Brandt sich mit einem Brief an den SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner und einem Glückwunschschreiben an Bundeskanzler Helmut Schmidt zu dessen 60. Geburtstag an der Parteispitze zurück. Nach Weihnachten fährt er für eine mehrwöchige Kur nach Südfrankreich.

Kur in Frankreich und Trennung von Rut Brandt

In einer Rehabilitationsklinik im südfranzösischen Hyères erholt sich Willy Brandt Anfang 1979 von den Herzinfarkten, den er zwei Monate zuvor erlitten hat. Viel Bewegung, salzarmes Essen und strenge ärztliche Kontrolle sorgen für rasche Fortschritte bei der Genesung. Die vier Stunden Arbeit am Tag, die ihm während der sechswöchigen Kur erlaubt sind, wendet Brandt für die Nord-Süd-Kommission auf.

Seine Freunde Klaus Harpprecht und Egon Bahr besuchen ihn, aber Rut Brandt darf nicht kommen. Die Ehe besteht nur noch auf dem Papier. In der Kur trifft Willy die Entscheidung, sich von Rut zu trennen. Seine neue Lebenspartnerin ist die 32 Jahre alte Historikerin Brigitte Seebacher. Sie arbeitet als Redenschreiberin für den SPD-Vorsitzenden und ist seit einiger Zeit auch privat an seiner Seite.

Brandt-Kommission in Mont Pèlerin

Wie knapp ein Jahr zuvor findet Ende Februar 1979 im schweizerischen Mont Pèlerin eine weitere Sitzung der Nord-Süd-Kommission statt. Am vorhergehenden Treffen in Kuala Lumpur Ende November 1978 hat Willy Brandt wegen seiner Herzerkrankung nicht teilnehmen können. Weil jene Sitzung sehr kontrovers verlaufen ist, steht die Kommission nun unter großem Zeitdruck.

Brandt redet den Mitgliedern zu Beginn nachdrücklich ins Gewissen. In seinem „Chairman’s Report“ fordert er sie zu konzentrierter Diskussion auf und betont, dass der Abschlussbericht im Oktober 1979 auf den Markt kommen müsse. Zugleich skizziert er die Inhalte, die darin behandelt werden sollen. Brandt kündigt auch an, dass er als Vorsitzender eine Einleitung verfassen werde, die integraler Bestandteil des Reports sein müsse.

Umzug nach Unkel

Nach der Trennung von seiner Ehefrau Rut zieht Willy Brandt mit seiner neuen Partnerin Brigitte Seebacher in das 20 Kilometer südlich von Bonn gelegene rechtsrheinische Städtchen Unkel um. Die Dachgeschosswohnung in der Eschenbrenderstraße 4, in der beide ab 1. April 1979 zusammenleben, hat fünf Zimmer und eine große Terrasse. Hier wird das Paar bis zum Umzug in ein neues Haus Auf dem Rheinbüchel 60 im November 1989 wohnen.

Die Kur zum Jahresbeginn 1979 und die neue Liebe haben Brandt geradezu verjüngt. Er achtet auf ausreichenden Schlaf, hat abgenommen und sieht straffer aus. Dass der SPD-Vorsitzende zudem modischere Kleidung trägt, ist ebenfalls auf die junge Frau an seiner Seite zurückzuführen.

Sitzung der Nord-Süd-Kommission in Annecy

In der ostfranzösischen Stadt Annecy treffen sich Anfang Mai 1979 die Mitglieder der Nord-Süd-Kommission zu ihrer siebten Sitzung. Unter der Leitung des Vorsitzenden Willy Brandt kreist die Diskussion vor allem um die Struktur der Empfehlungen im Abschlussbericht.

Sehr kontrovers wird über Finanz- und Währungsfragen sowie über mögliche Reformen bei Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) debattiert. Besonders umstritten sind dabei die Ideen, internationale Steuern für Entwicklungshilfe einzuführen und einen Weltentwicklungsfonds einzurichten.

Bezugnehmend auf seine Gespräche mit UNO-Generalsekretär Waldheim im April und Weltbankpräsident McNamara im März 1979, regt Brandt erstmals die Einberufung eines Nord-Süd-Gipfels mit ca. 30 bis 40 Regierungschefs aus aller Welt an.

Erste Direktwahl des Europaparlaments

Am 7. und 10. Juni 1979 finden in den neun EG-Mitgliedstaaten erstmals Direktwahlen zum Europäischen Parlament statt. Mit ihrem Spitzenkandidaten Willy Brandt erreicht die SPD in der Bundesrepublik Deutschland 40,8% der Stimmen. Damit erringen die Sozialdemokraten 35 der 81 deutschen Mandate. Die CDU/CSU erzielt 49,2% (42 Sitze), während die FDP auf 6,0% (4 Sitze) kommt.

Mitte Juli 1979 nimmt Brandt in Straßburg an der Konstituierenden Sitzung des Europaparlaments teil. Wie alle SPD-Abgeordneten, zu denen u. a. auch der DGB-Vorsitzende Heinz-Oskar Vetter sowie Gerd Walter und Heidemarie Wieczorek-Zeul zählen, ist er Mitglied der Sozialistischen Fraktion. Mit 113 von 410 Sitzen ist sie die größte. In seiner ersten Rede im Plenum am 19. Juli 1979 kritisiert Brandt, dass dem Parlament kein guter Start gelungen sei.

Treffen mit PLO-Chef Arafat in Wien

Am Rande der achten Sitzung der Nord-Süd-Kommission vom 4. bis 9. Juli 1979 treffen Willy Brandt und Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky in Wien erstmals mit dem Führer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Jassir Arafat, zusammen. In der anschließenden gemeinsamen Pressekonferenz weist Brandt am 8. Juli 1979 den Vorwurf der Illoyalität gegenüber Israel zurück.

Der Präsident der Sozialistischen Internationale (SI) teilt zudem mit, ihm sei erklärt worden, dass die PLO die Selbstbestimmung der Palästinenser „ohne Auslöschung oder Zerstörung“ verwirklichen wolle. Wie Brandt bei einer Tagung des SI-Büros Ende Oktober 1979 in Lissabon betont, fühlt er sich in seiner Überzeugung gestärkt, dass es ohne Beteiligung der PLO keinen dauerhaften Frieden in Nahost geben könne.

Termin beim Kanzler zu Nord-Süd-Bericht

Am 25. September 1979 spricht Willy Brandt mit Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Rainer Offergeld, über den ausstehenden Abschlussbericht der Nord-Süd-Kommission. An dem Gespräch im Bonner Kanzleramt nehmen auch SPD-Bundesgeschäftsführer Egon Bahr und Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski teil.

Schmidt signalisiert Zustimmung für die Idee eines Nord-Süd-Gipfeltreffens. Aber den von der Brandt-Kommission befürworteten Stimmrechtsänderungen in Weltbank und IWF erteilt der Kanzler eine Absage. Auch Offergeld äußert deutliche Kritik. Neue internationale Institutionen, wie z. B. einen Weltentwicklungsfonds, lehnt der Minister entschieden ab. Brandt teilt manche der Bedenken. Er berichtet auch, dass seine Kommission sich kaum einigen könne.

Weitere Sitzung der Brandt-Kommission in Brüssel

Da es die Nord-Süd-Kommission im Juli 1979 in Wien nicht geschafft hat, ihren Abschlussbericht zu verabschieden, muss sie drei Monate später in Brüssel eine weitere Sitzung abhalten. Doch auch der neue Berichtsentwurf des Genfer Sekretariats ist immer noch zu lang und zu technisch. Zudem sind etliche Vorschläge darin umstritten. Willy Brandt besteht indes darauf, dass der Text ausgewogen und für ein breites Publikum verständlich sein müsse.

Als die Kommission auch nach drei Tagen weiter uneins ist, zieht sich der Vorsitzende deprimiert auf sein Zimmer zurück. Das drohende Scheitern wird in letzter Sekunde verhindert: Edward Heath und Shridath Ramphal erhalten den Auftrag, in London ein Redaktionsteam zu bilden, das den Bericht in Abstimmung mit Brandt bis Mitte Dezember fertigstellen soll.

Dialog mit Breschnew über NATO-Beschluss

Die für den 12. Dezember 1979 anberaumte Verabschiedung des NATO-Doppelbeschlusses sorgt für starke Ost-West-Spannungen. Als Gegengewicht zu den sowjetischen SS-20-Raketen, die seit 1976 aufgestellt werden und auf westeuropäische Städte gerichtet sind, will das atlantische Bündnis ab 1983 108 Pershing II und 464 Cruise Missiles der USA in Westeuropa stationieren. Zugleich bietet die NATO der Sowjetunion Verhandlungen an, um ein dauerhaftes Gleichgewicht bei den atomaren Mittelstreckenwaffen zu vereinbaren.

Wegen des Doppelbeschlusses nehmen Leonid Breschnew und Willy Brandt ihren Dialog wieder auf. In einem Schreiben an den sowjetischen Generalsekretär macht der SPD-Vorsitzende am 14. November 1979 deutlich, dass er keine Aufrüstung will, sondern eine Verhandlungslösung wünscht.

SPD-Bundesparteitag in Berlin

Unter dem Motto „Sicherheit für die 80er Jahre“ debattiert die SPD auf ihrem Berliner Bundesparteitag kontrovers über den NATO-Doppelbeschluss. Die Parteilinke lehnt die ab 1983 vorgesehene Aufstellung neuer nuklearer US-Mittelstreckenraketen in Westeuropa prinzipiell ab. Auch Willy Brandt befürchtet ein atomares Wettrüsten, will sich aber nicht gegen Bundeskanzler Helmut Schmidt stellen, der als Initiator des Doppelbeschlusses gilt.

Unter der Bedingung, dass auf die Stationierung neuer Raketen verzichtet werde, wenn Verhandlungen mit der Sowjetunion „zu befriedigenden Ergebnissen führen“, stimmt der Parteitag dem Beschluss der NATO zu. Heftig gestritten wird auch über die Kernenergie und die Entwicklungshilfe. Bei seiner Wiederwahl zum SPD-Vorsitzenden erhält Brandt 360 von 402 Stimmen.

Abschluss der Nord-Süd-Kommission

Auf einer Pressekonferenz in London kann Willy Brandt am 17. Dezember 1979 den Abschluss der Arbeiten seiner Nord-Süd-Kommission verkünden. An den Tagen zuvor hat sich das Gremium in Leeds Castle zum zehnten Mal getroffen. Die Mitglieder haben Brandts dringende Mahnung befolgt und den Nord-Süd-Bericht in der Fassung angenommen, die Edward Heath und Shridath Ramphal nach der Brüsseler Sitzung in Abstimmung mit dem Vorsitzenden erstellt haben.

Angesichts eines drastischen Ölpreisanstiegs fordert die Kommission ein Notprogramm, um eine drohende Weltwirtschaftskrise abzuwenden. Die Energiefrage ist auch das beherrschende Thema einer Reise nach Kuwait und Saudi-Arabien gewesen, die Brandt in Begleitung von elf Kommissionsmitgliedern vom 8. bis 12. Dezember 1979 unternommen hat.

Kriegsangst nach Sowjet-Invasion in Afghanistan

Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan an Weihnachten 1979 bricht eine neue Eiszeit im Ost-West-Verhältnis an. Anfang Januar 1980 stoppt US-Präsident Jimmy Carter die Ratifizierung des Vertrags über die Begrenzung strategischer Nuklearwaffen (SALT II) von 1979. Außerdem kündigt er Sanktionen gehen die Sowjetunion an, wozu auch ein Boykott der Olympischen Sommerspiele in Moskau 1980 gehören soll.

Willy Brandt reagiert mit großer Besorgnis auf die Entwicklung und warnt vor einem möglichen „Hineinschlittern in den Krieg“. In einem „Spiegel“-Interview, das am 14. Januar 1980 erscheint, plädiert der SPD-Vorsitzende dafür, weiter illusionslos auf Entspannung zu setzen. „Wir müssen also alles nur Menschenmögliche tun, um den Rückfall in den Kalten Krieg verhindern zu helfen.“

Übergabe des Nord-Süd-Berichts

Am 12. Februar 1980 übergibt Willy Brandt in New York den Bericht seiner „Unabhängigen Kommission für Internationale Entwicklungsfragen“ offiziell an UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim.Tags darauf händigt er auch Weltbankpräsident Robert McNamara in Washington persönlich ein Exemplar aus. Der englische Originaltitel des „Brandt-Reports“ ist „North-South: A Programme for Survival“. Die deutsche Ausgabe heißt „Das Überleben sichern.“

Am 15. Februar 1980 wird Brandt auch von US-Präsident Jimmy Carter empfangen, der die Arbeit der Nord-Süd-Kommission ebenfalls würdigt. Carter teilt seinem deutschen Gast auch mit, dass er die Entspannung fortsetzen und die Sowjetunion „weder in Verlegenheit bringen noch kränken“ wolle. Diese Information gibt Brandt in einem Schreiben an Leonid Breschnew weiter.

SI-Regionalkonferenz in Santo Domingo

Mit der Regionalkonferenz für Lateinamerika und die Karibik Ende März 1980 in der dominikanischen Hauptstadt will die Sozialistische Internationale (SI) ihre Beziehungen zu befreundeten Parteien in der Region weiterentwickeln. Ziel ist die Förderung der Demokratie und die Überwindung rechtsgerichteter Diktaturen in Mittel- und Südamerika.

SI-Präsident Willy Brandt hält den Sturz des Somoza-Regimes in Nicaragua durch die Sandinisten im Juli 1979 für den „Schlüssel der Demokratisierung“. Derweil wächst die Gewalt in Mittelamerika. Zu Beginn der SI-Konferenz gedenken Brandt und seine Freunde des kurz zuvor in San Salvador ermordeten Regimekritikers Bischof Óscar Romero. Unterstützt von den USA, regiert El Salvadors Militärjunta mit brutalem Terror, der das Land in einen Bürgerkrieg treibt.

Bemühungen um Nord-Süd-Gipfel

Ein Vorschlag des Nord-Süd-Berichts liegt Willy Brandt besonders am Herzen: ein Gipfeltreffen von Staats- und Regierungschefs aus Industrie- und Entwicklungsländern. In einem Schreiben an Bundeskanzler Schmidt vom 27. Mai 1980 sieht Brandt dafür gute Chancen. Das ist das Ergebnis seiner Gespräche mit Mexikos Präsidenten López Portillo und Österreichs Bundeskanzler Kreisky, die das Projekt international sondieren.

Brandt, der dazu selbst schon mit US-Präsident Carter und Frankreichs Staatspräsidenten Giscard d’Estaing gesprochen hat, bittet Schmidt darum, die Idee im Kreis der sieben führenden Industrienationen (G7) zu unterstützen. Die Gipfel-Initiative kommt indes nur langsam voran. Im November 1980 und März 1981 finden sich in Wien die Außenminister von elf Staaten zu vorbereitenden Treffen ein.

Treffen mit iranischem Außenminister in Oslo

Während der Sitzung des „Büros“ der Sozialistischen Internationale (SI) vom 11. bis 13. Juni 1980 in Oslo kommen Willy Brandt und seine Kollegen mit dem iranischen Außenminister Sadegh Ghotbzadeh zusammen. Thema ist die Geiselaffäre in Teheran, wo 52 amerikanische Diplomaten seit dem 4. November 1979 in der US-Botschaft gefangen gehalten werden. Ende Mai 1980 sind deswegen schon Felipe González, Bruno Kreisky und Olof Palme zu Gesprächen mit dem islamischen Regime in die iranische Hauptstadt gereist.

Die mit Zustimmung der USA unternommenen Bemühungen der SI haben aber keinen Erfolg. In der Erklärung, die Brandt zu Ghotbzadehs Darlegungen abgibt, heißt es nur: „Wir möchten die Verantwortlichen im Iran in dem Bestreben ermutigen, das Problem der Geiseln ,friedlich und ehrenhaftʻ zu lösen.“

Reaktion auf Gründung der Solidarność in Polen

Nach wochenlangen Massenstreiks schließt die polnische Regierung am 31. August 1980 in Danzig ein Abkommen mit den Vertretern der streikenden Arbeiter. Kernpunkte sind die Einführung des Streikrechts und die Zulassung der „Solidarność“. Vorsitzender der ersten freien Gewerkschaft im kommunistischen Machtbereich wird der Elektriker Lech Wałęsa.

In einer Erklärung zeigt sich der SPD-Vorsitzende Willy Brandt erleichtert über die Einigung in Polen. Die Nichteinmischung von außen habe dies erleichtert. Den polnischen Arbeitern bringt Brandt viel Sympathie entgegen. Sie seien „mit Mut, aber auch mit bewundernswerter Reife (…) für ihre Rechte aufgestanden und eingetreten“. In einem Interview spricht er sich Mitte September gegen finanzielle Hilfen aus der Bundesrepublik an Solidarność aus.

Bundestagswahl: SPD-FDP-Sieg gegen Strauß

Bei der Wahl zum 9. Deutschen Bundestag wird die sozial-liberale Koalition in Bonn erneut bestätigt. Die CDU/CSU mit Kanzlerkandidat Franz Josef Strauß erzielt nur 44,5% (-4,1) der Stimmen. Doch von der verbreiteten Anti-Strauß-Stimmung im Wahlkampf profitiert die SPD mit Bundeskanzler Helmut Schmidt kaum. Sie legt nur leicht zu und kommt auf 42,9%.

Großer Gewinner ist die FDP mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher, die 10,6% (+2,7) erreicht. Die erstmals bei einer Bundestagswahl antretenden Grünen scheitern mit 1,5% klar an der 5%-Hürde. In einer Stellungnahme zum Wahlausgang erklärt Willy Brandt den Erfolg der FDP mit ihrer eindeutigen Aussage, die Zusammenarbeit mit Schmidt und der SPD weitere vier Jahre fortsetzen zu wollen. Am 5. November 1980 wird Schmidt wieder zum Kanzler gewählt.

SI-Kongress in Madrid

Der Kongress der Sozialistischen Internationale Mitte November 1980 in Madrid bestätigt Willy Brandt im Amt des Präsidenten. In der spanischen Hauptstadt, wo fast zeitgleich das zweite KSZE-Folgetreffen beginnt, spricht sich die SI klar für eine Fortsetzung der Entspannungs- und Abrüstungspolitik aus. Die Erwartungen richten sich dabei vor allem an die beiden Supermächte, wie Brandt danach in einem Brief an den sowjetischen Generalsekretär Breschnew schreibt.

Der SI-Präsident und SPD-Vorsitzende hofft darauf, dass Amerikaner und Sowjets bald Verhandlungen über atomare Mittelstreckenwaffen aufnehmen. Allerdings hat Ronald Reagan, der Sieger der US-Präsidentschaftswahl vom 5. November 1980, im Wahlkampf die massive Aufrüstung der USA versprochen. Zum Wahlausgang äußert Brandt sich zurückhaltend.

Scheidung von Rut Brandt

Nach 32 Jahren wird die Ehe von Willy und Rut Brandt am 16. Dezember 1980 geschieden. Über die finanziellen Dinge haben sie vorher eine Einigung erzielt.

Nach dem Gerichtstermin in Bonn treffen sich beide, begleitet von ihren Anwälten, noch bei ihrem Sohn Lars. Man sitzt bei einem Glas Wein zusammen und erzählt lustige Anekdoten.

Ruts Hoffnung auf eine bleibende Freundschaft mit Willy erfüllt sich nicht. Im Gegenteil: Nach dieser Begegnung werden sie sich nie mehr wiedersehen.

Kritik an SI-Aufruf zu El Salvador

Seit 1980 tobt in El Salvador ein Bürgerkrieg zwischen dem vom Militär und den USA gestützten Duarte-Regime und der linken Guerillabewegung FMLN. Zur Opposition gehört auch die Partei MNR, die von Guillermo Ungo angeführt wird und Mitglied der Sozialistischen Internationale (SI) ist.

Als ein Sieg der FMLN nahe scheint, geben der Präsident und der Generalsekretär der SI, Willy Brandt und Bernt Carlsson, am 23. Januar 1981 eine Erklärung ab, die von der bisherigen Linie abweicht. Beide sehen keine Chance mehr für eine friedliche Lösung und unterstützen den „revolutionären Wechsel in El Salvador“.

Das stößt auf scharfe Kritik der SI-Mitgliedspartei PLN aus Costa Rica, der sich andere anschließen. Der Protest zwingt Brandt dazu, alsbald wieder für eine Verhandlungslösung zu plädieren. Eine Vermittlerrolle in El Salvador lehnt er aber ab.

Rücktrittsabsichten wegen SPD-Streit

Wegen der sich verschärfenden Wirtschaftskrise beschließt die sozial-liberale Regierung nach der Bundestagswahl 1980 Sparmaßnahmen. Das sorgt für Streit in der SPD, in der zugleich der Widerstand gegen den NATO-Doppelbeschluss wächst. Anfang 1981 fordern 24 SPD-Abgeordnete unter Berufung auf den Nord-Süd-Bericht, dass die Entwicklungshilfe zulasten der Militärausgaben um eine Milliarde DM erhöht werden müsse.

Eine 5-Punkte-Erklärung, die der Parteivorstand auf Initiative Willy Brandts am 12. Februar 1981 veröffentlicht, kann die SPD-Krise nicht beenden. Fraktionschef Herbert Wehner sieht weiter die Gefahr der Spaltung. Daraufhin droht Brandt am 21. Februar 1981 damit, den Parteivorsitz niederzulegen. Seine vorsorglich verfassten Rücktrittserklärungen bleiben am Ende aber in der Tasche.

Berlin-Treffen der Brandt-Kommission

Ein Jahr nach einem ersten Folgetreffen in Den Haag kommt die Nord-Süd-Kommission Ende Mai 1981 in West-Berlin wieder zusammen. In der Villa Borsig bereitet sie sich auf den Gipfel vor, der im Herbst 1981 in Cancún (Mexiko) stattfinden soll.

In einer Rede vor der Technischen Universität verurteilt der Vorsitzende Willy Brandt die hohen Rüstungsausgaben und den wachsenden Hunger in der Welt. Zudem beklagt er das Desinteresse vieler Regierungen und der deutschen Öffentlichkeit am Nord-Süd-Bericht.

Darüber entwickelt sich bei einem Abendessen am 29. Mai 1981 ein heftiger Disput zwischen Kommissionsmitgliedern und dem als Gast geladenen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Gegenüber der Presse kommentiert Brandt den Vorfall ungewohnt harsch: Die Entwicklungspolitik der Bundesrepublik sei rückständig.

Kritische Solidarität mit den Sandinisten

Zwei Jahre nach der Revolution blickt Willy Brandt mit zunehmender Sorge auf Nicaragua. Die Sandinisten haben konkurrierende politische Kräfte aus der Regierung gedrängt und nähern sich mehr und mehr der Sowjetunion an.

Der neue amerikanische Präsident Ronald Reagan will ein zweites Kuba verhindern und unterstützt die „Contra-Rebellen“, die ab 1981 einen Guerilla-Krieg gegen die Sandinisten führen. Auch eine Invasion durch US-Truppen scheint möglich.

„Zur Verteidigung der Revolution in Nicaragua“ hat die Sozialistische Internationale (SI) im November 1980 ein Komitee gegründet, dem Felipe González vorsitzt. Er soll der sandinistischen Führung nun klarmachen, so Brandt in einem Brief vom 2. Juni 1981, dass die SI einen Abbau des Pluralismus und der Rechtsstaatlichkeit nicht gutheißen kann.

Besuch in Moskau

Ende Juni 1981 nimmt Willy Brandt eine Einladung von Leonid Breschnew an und reist nach Moskau. Bei der fast dreistündigen Unterredung, die beide am 30. Juni im Kreml führen, geht es vorrangig um den NATO-Doppelbeschluss. Der sowjetische Generalsekretär spricht sich für Verhandlungen über atomare Mittelstreckenwaffen aus, fordert u. a. aber auch die Einbeziehung britischer und französischer Systeme.

Von Breschnews Friedenswillen ist Brandt fest überzeugt, wie er in einem „Spiegel“-Interview betont. Positiv bewertet der SPD-Vorsitzende auch das erneuerte sowjetische Angebot, für die Dauer von Verhandlungen keine SS-20-Raketen mehr aufstellen zu wollen. Doch zum Ärger Brandts weisen die USA und die sozial-liberale Bundesregierung den Moratoriumsvorschlag umgehend als ungleichgewichtig zurück.

Treffen mit Präsident Mitterrand

In ihrem Frankreich-Urlaub werden Willy Brandt und Brigitte Seebacher am 20. August 1981 vom neuen Staatspräsidenten François Mitterrand auf einen Bauernhof in Nogaro eingeladen. Nach einer gemeinsamen Stippvisite in der DDR Anfang März, der Amtseinführung Mitterrands im Mai und einer Sitzung der Sozialistischen Internationale Mitte Juli in Bonn ist es schon die vierte Begegnung der beiden Politiker in diesem Jahr.

Bei ihrem Gespräch in Nogaro und einem weiteren Treffen am 25. September 1981 in Paris treten unterschiedliche Auslegungen des NATO-Doppelbeschlusses zu Tage. Zwar ist auch Mitterrand für Verhandlungen über die atomaren Mittelstreckenwaffen, aber ohne Einbeziehung der französischen Systeme. Zudem hält er zur Wiederherstellung des Gleichgewichts eine Nachrüstung der NATO für notwendig.

Schreiben an Nord-Süd-Gipfel in Cancún

Sechs Wochen vor der „Internationalen Konferenz über Zusammenarbeit und Entwicklung“ im mexikanischen Cancún schreiben Willy Brandt und Shridath Ramphal einen Brief an die Teilnehmer des ersten Nord-Süd-Gipfels der Geschichte. Es ist ein dringender Appell an die politischen Führer aus 22 Industrie- und Entwicklungsländern, sich auf gemeinsame Maßnahmen zur Bewältigung der Nord-Süd-Probleme zu verständigen. Unter Hinweis auf die Vorschläge der Nord-Süd-Kommission drängen Brandt und Ramphal vor allem auf ein Sofortprogramm gegen die Weltwirtschaftskrise, von der die Entwicklungsländer besonders hart betroffen sind.

Doch der Gipfel bleibt hinter diesen Erwartungen zurück. An der Konferenz in Cancún am 22./23. Oktober 1981 nehmen u. a. Ronald Reagan (USA), Margret Thatcher (Großbritannien), Zhao Ziyang (China), Indira Gandhi (Indien) und Julius Nyerere (Tansania) teil. Da Bundeskanzler Helmut Schmidt krankheitsbedingt absagen muss, wird die Bundesrepublik Deutschland durch Außenminister Hans-Dietrich Genscher vertreten. Die Sowjetunion und ihre Verbündeten bleiben dem Treffen von vornherein fern.

Auch Willy Brandt, auf den die Idee für den Gipfel zurückgeht, ist in Cancún nicht dabei. Eine Woche nach der Konferenz muss der Vorsitzende der Nord-Süd-Kommission in einem Interview für die „Frankfurter Rundschau“ einräumen, dass es substantiell kaum Fortschritte gegeben hat. Auf Anraten von Freunden aus Entwicklungsländern bringt Brandt seine Enttäuschung aber nicht deutlicher zum Ausdruck.

Auszeichnung und Gespräche in den USA

Die internationale jüdische Organisation B’nai B’rith zeichnet Willy Brandt am 3. Oktober 1981 in New York mit der Goldmedaille für humanitäre Verdienste aus. Tags darauf führt der SPD-Vorsitzende mit UNO-Botschaftern aus Entwicklungsländern Gespräche über den bevorstehenden Nord-Süd-Gipfel von Cancún.

Zum Abschluss seines Besuchs trifft Brandt in Washington mit US-Außenminister Alexander Haig zusammen. Neben Nord-Süd-Fragen und der Lage in Polen sind auch die Anti-Atomwaffen-Proteste in der Bundesrepublik ein Thema. Brandt zeigt Verständnis für die Friedensbewegung, die er nicht als anti-amerikanisch einstuft. Haig beteuert, die USA würden bei den Ende November 1981 in Genf wieder beginnenden Gesprächen mit der Sowjetunion über atomare Mittelstreckenwaffen (INF) ernsthaft verhandeln.

Annäherung an die Friedensbewegung

Eine Rede Willy Brandts zum 100-jährigen Bestehen des Dietz-Verlags am 3. November 1981 sorgt für großes Aufsehen. Ein Satz daraus wird danach viel zitiert: „Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“ Damit geht der SPD-Vorsitzende auf die Friedensbewegung zu, die gegen immer mehr Atomwaffen protestiert und den NATO-Doppelbeschluss ablehnt. Über 300.000 Menschen haben am 10. Oktober 1981 an der bis dahin größten Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten teilgenommen.

Der Umgang mit der Friedensbewegung ist in der SPD stark umstritten. Schon am 21. September hat Brandt in einem Brief an Bundeskanzler Helmut Schmidt dessen Forderung abgewiesen, Erhard Eppler von einem Redeauftritt bei der Kundgebung in Bonn abzuhalten und SPD-Mitglieder zur Nichtteilnahme aufzurufen.

Kontroverse um Löwenthal-Thesen

Der rechte Flügel der SPD hält die Annäherung des Parteivorsitzenden Willy Brandt an die Friedens- und Umweltbewegung für einen Fehler. In „Sechs Thesen zur Identität der Sozialdemokratie“ bündelt der Politologe Richard Löwenthal im November 1981 die Kritik am Kurs seines alten Freundes. Brandt hat sich zuvor in einer Rede dafür ausgesprochen, die SPD für die neuen, grün-alternativen Wählerschichten zu öffnen.

Statt ihrer Integration fordert Löwenthal die Abgrenzung von „Randgruppen“, die seiner Meinung nach die „arbeitsteilige Industriegesellschaft“ verteufeln. Eine Unterschriftenaktion, an der sich u. a. auch Herbert Wehner beteiligt, verleiht dem Papier besondere Brisanz. In einem am 6. Dezember 1981 vorab veröffentlichten Interview widerspricht Brandt den Thesen Löwenthals energisch.

Umstrittenes Statement zum Kriegsrecht in Polen

Auf das am 13. Dezember 1981 verhängte Kriegsrecht in Polen, das Verbot der Gewerkschaft „Solidarność“ und die Internierung ihrer Anführer reagiert Willy Brandt sehr zurückhaltend. In einer Erklärung des SPD-Präsidiums am 16. Dezember und in einer ersten Stellungnahme der Sozialistischen Internationale (SI) einen Tag später wird das Vorgehen von General Jaruzelski nicht ausdrücklich verurteilt.

Das Statement stößt besonders bei den europäischen SI-Mitgliedern auf scharfe Kritik. Ihnen entgegnet Brandt, den Polen sei mit „Phrasendrescherei“ nicht geholfen. Im Interesse des Friedens in Europa erscheint ihm das Kriegsrecht als das kleinere Übel gegenüber einer befürchteten sowjetischen Intervention in Polen. Um Ausgewogenheit bemüht ist auch das Schreiben, das Brandt Anfang 1982 an Jaruzelski richtet.

Brandt-Kommission: Treffen in Kuwait

Zu einem weiteren Treffen seiner Nord-Süd-Kommission fliegt Willy Brandt am 5. Januar 1982 nach Kuwait. Zuvor hat er in Begleitung des SPD-Politikers Oskar Lafontaine einen mit vielen politischen Terminen gespickten Weihnachts- und Neujahrsurlaub auf Zypern verbracht.

Nach einer Auswertung des Gipfels von Cancún debattiert die Nord-Süd-Kommission in Kuwait vor allem über mögliche Maßnahmen gegen die Weltwirtschafts- und Ölpreiskrise sowie über die rasch wachsende Verschuldung etlicher „Dritt-Welt“-Staaten. Dabei fordert Brandt, dass sich die internationale Gemeinschaft dringend auf eine Weltenergiestrategie verständigen müsse. Die Kommissionsmitglieder beschließen, sich mit einem zweiten Nord-Süd-Bericht noch einmal zu Wort zu melden. Das neue Dokument soll bis Ende 1982 fertig sein.

Schmidts Vertrauens­frage im Bundestag

Wegen anhaltender Querelen in der SPD und zunehmender Spannungen mit dem Koalitionspartner FDP in der Wirtschafts- und Sozialpolitik stellt Bundeskanzler Helmut Schmidt im Bundestag die Vertrauensfrage. In der Debatte, die vor der namentlichen Abstimmung am 5. Februar 1982 stattfindet, kritisiert Oppositionsführer Helmut Kohl (CDU) den Schritt als „taktisches Manöver“. Für den NATO-Doppelbeschluss habe Schmidt in seiner Partei keine Mehrheit mehr.

Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt betont in seiner Rede, dass der Kanzler das Vertrauen von Partei und Fraktion habe und die SPD die sozial-liberale Koalition fortsetzen wolle. Die Vertrauensfrage diene dem Ziel, die „volle Handlungsfähigkeit der Regierung“ unter Beweis zu stellen. Am Ende stimmen alle 269 Abgeordnete von SPD und FDP für Schmidt.

SPD-Bundesparteitag in München

Unter Mühen finden Gegner und Befürworter der Politik von Bundeskanzler Helmut Schmidt beim SPD-Bundesparteitag in München eine Kompromissformel zum NATO-Doppelbeschluss. Die Partei wird demnach erst im Herbst 1983 im Lichte der bei den Genfer Verhandlungen über atomare Mittelstreckenwaffen erreichten Ergebnisse entscheiden, ob sie einer Stationierung amerikanischer Pershing II und Cruise Missiles in der Bundesrepublik zustimmt oder nicht.

Schon zuvor hat Willy Brandt erklärt, dass es auch bei einem Scheitern in Genf keinen Automatismus für ein Ja gebe. Bei seiner Wiederwahl als SPD-Vorsitzender am 22. April 1982 erhält er 388 von 427 Stimmen. Für Unmut beim Koalitionspartner FDP sorgen Forderungen des Parteitags nach mehr Staatsausgaben, höheren Steuern und einem Beschäftigungsprogramm.

Kontroverse Sitzung des SI-Büros in Helsinki

Der Falkland-Krieg überschattet das Treffen des „Büros“ der Sozialistischen Internationale (SI). Anfang April 1982 ist die zu Großbritannien gehörende Inselgruppe im Südatlantik von Argentinien besetzt worden. Daraufhin hat die Regierung von Margret Thatcher britische Truppen zur Rückeroberung der Falklands entsandt.

Der Konflikt, den Willy Brandt als „ein Stück Wiederaufleben des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet, löst eine schwere Kontroverse in der SI aus. Die lateinamerikanischen Mitglieder stellen sich in Helsinki einhellig auf die Seite der argentinischen Militärjunta. Die europäischen Parteien fordern dagegen eine Verurteilung Argentiniens als Aggressor, auch wenn sie die Reaktion der Briten als überzogen kritisieren. Nach der Sitzung hält sich Brandt für eine Woche privat in Norwegen auf.

Protest gegen Israels Einmarsch im Libanon

Der Einmarsch israelischer Truppen in den vom Bürgerkrieg geplagten Libanon am 6. Juni 1982 und die folgende Belagerung Beiruts werden weltweit scharf kritisiert. In die Bemühungen, Israel zum Rückzug zu bewegen, schaltet sich auch die Sozialistische Internationale (SI) ein. In ihrem Auftrag unternimmt Mário Soares eine Erkundungsmission in den Nahen Osten.

Die Position, die der Portugiese dabei vertreten soll, gibt ihm Willy Brandt in einem Brief am 21. Juni 1982 mit auf den Weg. Nicht zuletzt soll Soares den Israelis klarmachen, dass es ohne die Anerkennung der Rechte der Palästinenser und ohne Mitwirkung der PLO keinen Frieden geben werde. Doch davon will Israels Regierung nichts wissen: Im August 1982 müssen PLO-Chef Arafat und seine Kämpfer das belagerte Beirut fluchtartig verlassen.

Buch „Links und frei“

Mit dem Memoirenband „Links und frei. Mein Weg 1930–1950“ äußert sich Willy Brandt 1982 erstmals ausführlich über seine Erlebnisse und Erfahrungen von der Jugendzeit in Lübeck über das skandinavische Exil bis zum Neuanfang im Nachkriegs-Berlin. Im Mittelpunkt steht sein Widerstand gegen die NS-Gewaltherrschaft in Deutschland und Europa.

Schon mit dem Titel legt Brandt demonstrativ ein stolzes Bekenntnis zu seinen Überzeugungen und seinem Engagement als junger Sozialist ab, für das er immer wieder angefeindet worden ist. Am 6. September 1982 veröffentlicht das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ vorab den ersten Teil von insgesamt fünf längeren Auszügen des Buchs, das im Verlag Hoffmann & Campe erscheint und viele Leser findet. 2012 kommt eine Neuauflage von „Links und frei“ auf den Markt.

Ende der sozial-liberalen Koalition

Mit dem Rücktritt der vier Bundesminister der FDP, die so ihrer Entlassung durch Bundeskanzler Helmut Schmidt zuvorkommen, zerbricht am 17. September 1982 nach dreizehn Jahren die sozial-liberale Koalition. Der Todesstoß sind die Forderungen der FDP nach tiefen Einschnitten im Sozialbereich, denen sich die SPD entschieden widersetzt. In Übereinstimmung mit dem Kanzler spricht sich der SPD-Vorsitzende Willy Brandt im Bundestag für baldige Neuwahlen aus.

Der Koalitionsbruch in Bonn hat starke Auswirkungen auf die Landtagswahl in Hessen am 26. September. Dort scheitert die FDP an der 5%-Hürde. Zugleich sind SPD und Grüne zusammen stärker als die CDU. Mit der Bemerkung, es gebe „eine Mehrheit diesseits der Union“, deutet Brandt am Wahlabend erstmals die Möglichkeit eines rot-grünen Bündnisses an.

Schmidts Sturz und Kohls Kanzlerwahl

Nach dem Bruch der sozial-liberalen Koalition in Bonn einigen sich CDU/CSU und FDP rasch auf ein neues Regierungsbündnis. Durch ein konstruktives Misstrauensvotum des Bundestags stürzen sie am 1. Oktober 1982 Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) und wählen Helmut Kohl (CDU) zu dessen Nachfolger. Außenminister und Vizekanzler wird erneut Hans-Dietrich Genscher (FDP).

In der kontroversen Debatte vor der Abstimmung stellt Willy Brandt die demokratische Legitimität des Kanzlerwechsels ohne vorherige Neuwahl des Bundestags in Frage. Zudem weist er in seiner Rede den Vorwurf zurück, Schmidt sei unter Mitwirkung des SPD-Vorsitzenden von der eigenen Partei demontiert worden. Den Zwischenrufern der Union hält Brandt entgegen: „Die SPD hat den Bundeskanzler und seine Politik solidarisch unterstützt.“

Bundeskonferenz der SPD in Kiel

Sieben Wochen nach dem Regierungswechsel in Bonn hält die SPD unter dem Motto „Aufbruch nach vorn“ eine Bundeskonferenz in Kiel ab. In einer Rede vor den Delegierten zeigt der Vorsitzende Willy Brandt auf, dass die Partei bei der für März 1983 geplanten Bundestagswahl mit ihrer Friedenspolitik und einem stärkeren Engagement des Staates für neue Arbeitsplätze und die Modernisierung der Wirtschaft punkten will. Als Kanzlerkandidat soll Hans-Jochen Vogel antreten.

Trotz der dringenden Bitte des SPD-Vorsitzenden hat Helmut Schmidt eine erneute Spitzenkandidatur abgelehnt. Die Briefe, die sich die beiden Altkanzler im Herbst 1982 schreiben, offenbaren sehr gegensätzliche Ansichten über die Gründe des Machtverlusts. Schmidts Klage über mangelnde Unterstützung widerspricht Brandt nachdrücklich.

Treffen der Nord-Süd-Kommission in Ottawa

Nachdem sie am 22./23. September in Brüssel getagt hat, trifft sich die von Willy Brandt geleitete Nord-Süd-Kommission auf Einladung der Regierung Kanadas noch einmal Mitte Dezember 1982 in Ottawa. Auf dem Programm steht die Verabschiedung des zweiten Nord-Süd-Berichts, der sich vor allem der globalen Rezession und der Verschuldungskrise der „Dritten Welt“ widmet.

Die Brandt-Kommission schlägt Not- und Sofortmaßnahmen vor, um den aus ihrer Sicht drohenden Zusammenbruch der Weltwirtschaft zu verhindern. Gefordert werden eine Abkehr von der Hochzinspolitik und die Schaffung zusätzlicher Liquidität für die Entwicklungsländer durch IWF und Weltbank. In einer Versammlung mit kanadischen Politikern erklärt Brandt, dass er nach wie vor auf eine Reform der internationalen Finanzinstitutionen hofft.