Widerstandskämpfer im norwegischen Exil

Als Hitler am 30. Januar 1933 an die Macht kommt, leistet Herbert Frahm sofort Widerstand. Um sich vor der Verfolgung durch die Nazis zu schützen, gibt er sich den Namen Willy Brandt. Im April 1933 geht er ins Exil nach Norwegen. Für die linkssozialistische SAPD baut Brandt in Oslo einen Auslandsstützpunkt auf. Von hier aus setzt er den Kampf gegen Hitlers Diktatur fort, weswegen ihn die deutschen Behörden 1938 ausbürgern. In Norwegen steht Willy Brandt in enger Verbindung mit der Arbeiterpartei DNA, die ihn politisch stark beeinflusst. Auf Reisen durch Europa knüpft er in den 1930er Jahren auch viele internationale Kontakte.

Alle Texte des multimedialen Zeitstrahls 1933-1939

Widerstand gegen Hitlers Diktatur

Am 30. Januar 1933 wird NSDAP-Führer Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Gegen die Machtübertragung an Hitler leisten Herbert Frahm und seine Freundin Gertrud Meyer sofort Widerstand. In Flugblättern ruft ihre Lübecker SAPD-Gruppe zum „antifaschistischen Kampf“ und zur „Sammlung der linken Kräfte“ auf. Die Schriften werden heimlich vervielfältigt und nachts in Briefkästen geworfen.

Bei einer Protestkundgebung in der Holstenhalle tritt Frahm am 6. Februar 1933 auch als Redner der SAPD auf. Er und seine Freunde gehen ein hohes Risiko ein, denn als stadtbekannten Nazi-Gegnern droht ihnen willkürliche Verhaftung und schwerste Misshandlung durch die SA, die Kampftruppe der NSDAP. Viele Gefangene überleben die Folterungen nicht.

Kundgebung für Leber in Lübeck

Bereits in den ersten Wochen der NS-Herrschaft kommen Tausende Hitlergegner in Gefängnisse und Konzentrationslager, vor allem Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten. Viele werden gefoltert und ermordet. Auch der SPD-Reichstagsabgeordnete Julius Leber wird Anfang Februar 1933 in Lübeck verhaftet. Man wirft ihm vor, an der Tötung eines SA-Mannes beteiligt gewesen zu sein.

Gemeinsam mit anderen Linken setzt sich Herbert Frahm für Lebers Freilassung ein. Der 19-Jährige ist auch dabei, als am 19. Februar 1933 bei einer Demonstration 15.000 Menschen in Lübeck den vorübergehend aus der Haft entlassenen Sozialdemokraten begrüßen. Da Leber aufgrund schwerer Misshandlungen keine Rede halten kann, ruft er der Menge nur ein Wort zu: „Freiheit!“.

SAPD-Parteitag in Dresden

Am 3. März 1933 löst der SAPD-Vorstand in Berlin die Partei und ihre Organisationen auf. Einige Mitglieder widersetzen sich jedoch dem Beschluss und berufen für den 11. März einen „illegalen“ Parteitag in Dresden ein. Für die Lübecker SAPD-Gruppe, die noch 75 Mitglieder zählt, fährt Herbert Frahm zu dem Treffen.

Bei dieser Reise benutzt der 19-Jährige zur Tarnung erstmals den Namen Willy Brandt. In Dresden berichtet er von der düsteren Lage in seinem Bezirk und dem brutalen Terror der Nazis. Der Parteitag beschließt, die SAPD weiterzuführen. Eine geheime Reichsleitung soll von Berlin aus den Widerstand gegen das NS-Regime organisieren. Außerdem wird entschieden, unter der Leitung von Jacob Walcher eine Auslandszentrale in Paris einzurichten.

Emigration nach Norwegen

Paul Frölich, der in Norwegen einen Stützpunkt der SAPD aufbauen soll, wird beim Versuch, über die Ostsee nach Dänemark zu entkommen, am 21. März 1933 verhaftet. Daraufhin beauftragt die SAPD-Reichsleitung Herbert Frahm damit, Frölichs Mission zu übernehmen und nach Oslo zu gehen. Den dortigen Genossen von der Norwegischen Arbeiterpartei (DNA), eine Schwesterpartei der SAPD, wird er als „Willy Brandt“ avisiert.

Der Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 ist der letzte Eindruck, den der junge Sozialist aus Lübeck mitnimmt. In der übernächsten Nacht fährt er, versteckt auf einem Fischerboot, von Travemünde nach Rødbyhavn. Von dort aus reist er über Kopenhagen weiter bis Oslo. Im Gepäck hat der 19-Jährige 100 Reichsmark vom Großvater und einen Band des „Kapital“ von Karl Marx.

Ankunft in Oslo

Am 7. April 1933 kommt Willy Brandt, der sich bei der Einreise als Tourist ausgibt, mit dem Passagierschiff „Dronning Maud“ in Oslo an. Einen Tag später meldet er sich in der Pressestelle der Norwegischen Arbeiterpartei (DNA) bei Finn Moe, dem außenpolitischen Redakteur des „Arbeiderbladet“. In dieser Zeitung erscheint bereits am 11. April 1933 Brandts erster norwegischer Artikel „Hvordan ser det ut i Hitler-Tyskland?“ („Wie sieht es in Hitler-Deutschland aus?“).

Moe macht den Neuankömmling mit dem Chef des „Arbeiderbladets“, Martin Tranmæl, und dem DNA-Vorsitzenden, Oscar Torp, bekannt und verschafft ihm eine Bleibe sowie finanzielle Unterstützung aus dem Justizfonds der Gewerkschaften. Da Brandt rasch Norwegisch lernt, schreibt er bald regelmäßig Beiträge für Zeitungen.

Teilnahme am DNA-Parteitag

Ende Mai 1933 nimmt Willy Brandt als Gastdelegierter am Parteitag der norwegischen Arbeiterpartei (DNA) teil. Er verliest Grüße der SAPD und sammelt Geld für den Solidaritätsfonds seiner Organisation. Die Schwesterparteien sind zwar beide Mitglieder in der Internationalen Arbeitsgemeinschaft (IAG), einem sehr kleinen und politisch unbedeutenden linkssozialistischen Dachverband mit Sitz in London.

Doch die ungleichen Partner verfolgen unterschiedliche Ziele. Während die Splitterpartei SAPD eine Revolution anstrebt, setzt die Massenpartei DNA seit Beginn der 1930er Jahre verstärkt auf soziale Reformen. Obwohl sie eigentlich auf deren Hilfe angewiesen sind, kämpfen Brandt und die SAPD-Führung gegen den pragmatischen Kurs der norwegischen Partei heftig an.

Vortragsreise in Norwegen

Anfang Juni 1933 reist Willy Brandt durch Westnorwegen, wo er u. a. in Bergen und in Høyanger im Sognefjord vor Mitgliedern der Arbeiterpartei DNA und Gewerkschaftern Vorträge über die Zustände in Deutschland hält und um Unterstützung für die SAPD wirbt. Der junge Deutsche hat inzwischen so viel Norwegisch gelernt, dass er seine Dolmetscherin der ersten Wochen, Aase Lionæs, nicht mehr braucht.

Im April und Mai 1933 hat Brandt schon vor Kursteilnehmern der Arbeiterhochschule auf der Insel Malmøya im Oslofjord gesprochen. Im Juli besucht er ein Sommerlager der DNA-Jugendorganisation Arbeidernes Ungdomsfylking (AUF), deren Mitglied er wird. Über sein Mitwirken bei der AUF will der 19-Jährige den linken Flügel der Arbeiterpartei stärken.

Ankunft von Gertrud Meyer in Norwegen

Am 9. Juli 1933 kommt Willy Brandts Freundin, Gertrud Meyer, in Oslo an. Im Mai war sie in Lübeck beim Verbreiten antifaschistischer Flugblätter erwischt und anschließend für fünf Wochen inhaftiert worden. Willy und Gertrud leben fortan wie ein Ehepaar zusammen, sind aber nicht miteinander verheiratet. Sie hat großen Anteil am Aufbau des Osloer Stützpunkts der SAPD.

Wie ihr Lebensgefährte engagiert Gertrud sich zudem stark in der örtlichen Gruppe „Frihet“ der AUF, der Jugendorganisation der norwegischen Arbeiterpartei. Die Lübeckerin fasst auch beruflich rasch Fuß in Norwegen. Nach Tätigkeiten als Haushaltshilfe und Sekretärin wird sie 1935 Assistentin des österreichischen Psychoanalytikers Wilhelm Reich, mit dem sie bis 1941 eng zusammenarbeitet.

Drohende Abschiebung

Zwar hat Willy Brandt schon kurz nach seiner Ankunft auf Fürsprache des DNA-Vorsitzenden Oscar Torp eine Arbeitserlaubnis bekommen. Doch die Polizeibehörden drängen darauf, dass er Norwegen bald wieder verlassen soll. Torp setzt sich daher mehrmals für den jungen Deutschen ein und erreicht, dass Brandt ein bis zum 1. September 1933 befristetes Bleiberecht erhält.

Die Bedingung, sich „jeder politischen Propaganda“ zu enthalten, ignoriert der 19-Jährige jedoch. Als die Fremdenpolizei sein Bleiberecht endgültig beenden und ihn nach Deutschland abschieben will, protestiert Torp beim Justizminister, wie Brandt am 31. August 1933 an Jacob Walcher schreibt. Der Protest hat Erfolg. Die Aufenthaltserlaubnis wird verlängert.

Im Sommerlager bei „Mot Dag“

Im Auftrag des Leiters der SAPD-Auslandszentrale, Jacob Walcher, der Norwegen im Juli 1933 besucht hat, steht Willy Brandt in enger Verbindung mit der marxistischen Intellektuellengruppe „Mot Dag“ („Dem Tag entgegen“). Anfang September 1933 nimmt er erneut an ihrem Sommerlager in Minnesund teil. Im Juli hat er dort bereits Erling Falk, den Anführer von „Mot Dag“, kennengelernt.

Im Herbst 1933 wird Brandt Mitglied der Organisation, zu der rund 100 Personen zählen und die einem Orden ähnelt. Das Engagement bei „Mot Dag“ führt zu schweren Konflikten mit der Führung der Norwegischen Arbeiterpartei (DNA). Denn seit Mitte der 1920er Jahre ist den Mitgliedern der DNA und ihrer Jugendorganisation AUF, der Brandt angehört, jegliche Zusammenarbeit mit „Mot Dag“ verboten.

Junger Multifunktionär der SAPD

Seit seiner Ankunft in Norwegen ist Willy Brandt unermüdlich aktiv. In Oslo hat er eine kleine SAPD-Zelle aufgebaut, die ab Herbst 1933 wöchentliche Sitzungen abhält. Daneben schreibt der junge Deutsche Artikel und Broschüren, hält Vorträge, unterstützt die Widerstandsarbeit in Deutschland und engagiert sich in der norwegischen Arbeiterbewegung.

Vom 20. bis 28. Oktober 1933 reist Brandt illegal nach Stockholm, um an einem Kongress des Jugendverbandes der von Moskau unabhängigen Kommunistischen Partei in Schweden (Kilbom-KP) teilzunehmen. In Gesprächen lotet er dort u. a. die Möglichkeiten aus, eine neue Jugendinternationale aufzubauen. Darüber hinaus versucht der 19-Jährige, finanzielle Ressourcen für die Arbeit der SAPD zu erschließen.

Anfang November 1933 erklärt Brandt sich bereit, auch die Leitung der Zentralen Auslandsstelle des Sozialistischen Jugendverbandes Deutschlands (SJVD), der Jugendorganisation der SAPD, zu übernehmen. Angesichts der Vielzahl der Aktivitäten gibt ihm sein väterlicher Freund Jacob Walcher, der Leiter der SAPD-Auslandszentrale in Paris, den warnenden Rat: „Mein lieber Willy, Du beginnst Dich zu übernehmen. Weniger wäre entschieden mehr.“

Opposition gegen Tranmæl und Torp

Anfang Dezember 1933 initiiert Willy Brandt mit drei weiteren „Mot Dag“-Mitgliedern und zwei Repräsentanten der Jugendorganisation AUF die Gründung eines Komitees. Die Gruppe will im Geheimen eine linke Oppositionsbewegung in der DNA organisieren, um die Parteiführung um Martin Tranmæl und Oscar Torp zu stürzen.

Kurz zuvor hat sich der junge Deutsche sowohl mit „Mot Dag“-Chef Erling Falk als auch mit dem Tranmæl-Gegner Olav Scheflo getroffen und mit ihnen die Frage erörtert, ob und wie man die Macht in der DNA erobern kann. Für dieses Ziel beginnt Brandt damit, systematisch ein Netzwerk von Gleichgesinnten in Norwegen aufzubauen. Dazu bereist er im Januar 1934 den Bezirk Telemark im Osten des Landes und fährt nach Kristiansand, Stavanger und Bergen.

Jugendkonferenz in Laren und Brüssel

Am 12. Februar 1934 trifft Willy Brandt zum ersten Mal in Paris ein. Nach Besprechungen mit den Genossen in der SAPD-Auslandszentrale macht er sich auf den Weg ins niederländische Laren, um für den SJVD, die Parteijugend der SAPD, an einer internationalen Jugendkonferenz teilzunehmen.

Kurz nach deren Beginn am 24. Februar 1934 stürmt die Polizei die Versammlung und verhaftet die ausländischen Delegierten. Brandt hat großes Glück. Auf Anraten von Finn Moe und Aake Anker-Ording, die an seiner Seite bleiben, zeigt er den Polizisten statt seines deutschen Reisepasses die norwegische Aufenthaltserlaubnis vor, so dass man ihn für einen Norweger hält. Die übrigen deutschen Konferenzteilnehmer werden zur Grenze gebracht und dort den Behörden des „Dritten Reichs“ übergeben. Mit den anderen Ausländern kommt Brandt ins Gefängnis nach Amsterdam und wird dann in einen Zug nach Brüssel gesetzt.

In der belgischen Hauptstadt findet am 27./28. Februar 1934 die Tagung der linkssozialistischen Jugendverbände ihre Fortsetzung. Zur Tarnung wird das Treffen „Liller Konferenz“ genannt. Die Delegierten beschließen die Gründung des Internationalen Büros Revolutionärer Jugendorganisationen, das ab Juni 1934 seinen Sitz in Oslo hat. Einer der drei Sekretäre des Büros ist Willy Brandt. Das Sekretariat gibt monatlich ein „Internationales Jugend-Bulletin“ heraus. Aufgrund permanenter interner Streitigkeiten kommt diese internationale Vereinigung aber über Ansätze nie hinaus.

Erste Auslandskonferenz der SAPD in Paris

Von Brüssel reist Willy Brandt zurück in die französische Hauptstadt zur ersten Auslandskonferenz der SAPD. Nach der Verhaftung der Berliner Reichsleitung im August 1933 ist Paris das alleinige Zentrum der Partei. Bei der Debatte über die theoretischen Leitlinien und den Kampf der SAPD gegen den Faschismus in Deutschland beteiligt sich auch Brandt mit einem Diskussionsbeitrag.

Der 20-Jährige hinterlässt einen starken Eindruck. Eine Freundin der Fotografin Gerda Taro schreibt in einem Brief, alle Leute seien von dem „phantastischen Jungen“ begeistert, der „als einer der zukünftigen Leute in der Arbeiterbewegung angesehen“ werde. Nicht nur sie selbst, sondern alle Mädchen hätten sich in ihn verliebt. Am 18. März 1934 kehrt Willy Brandt über Kopenhagen nach Oslo zurück.

Kontroverse Aussprache mit Torp

Wegen Willy Brandts linksoppositioneller Haltung und seiner Verbindungen zu „Mot Dag“ stellt Oscar Torp, der Vorsitzende der norwegischen Arbeiterpartei DNA, den 20-Jährigen am 10. April 1934 zur Rede. Torp erklärt, dass die Partei angesichts der Illoyalität nicht gewillt sei, ihn weiter finanziell zu unterstützen. In der hitzigen Aussprache gibt der junge Deutsche zwar Kontakte und politische Übereinstimmungen mit „Mot Dag“ zu, leugnet aber seine Mitgliedschaft.

Obwohl Brandt seine Kritik an der DNA-Führung fortsetzt, stellt sie ihre Zahlungen nur vorübergehend ein. Ende Mai 1934 setzt sich Torp beim Justizminister auch erneut dafür ein, dass der deutsche Flüchtling nicht abgeschoben wird. Die am 1. Juni 1934 ablaufende Aufenthaltserlaubnis wird daraufhin bis zum 1. Dezember 1934 verlängert.

Erregte Debatten in der AUF

Beim Kongress der AUF, der Jugendorganisation der norwegischen Arbeiterpartei DNA, Mitte Mai 1934 machen viele Teilnehmer ihrem Unmut über Willy Brandts politisches Verhalten Luft. Ihm wird vorgeworfen, ein „Spion“ und ein „Fraktionsschieber“ zu sein. Ein Antrag der Opposition in der AUF, ihm Rederecht zu geben, wird mit 102 zu 63 Stimmen abgelehnt.

Anders als von Brandt erhofft, zeigt der Kongress, dass der linke Flügel vorerst keine Chance hat, bei der Parteijugend das Ruder zu übernehmen. In der Folge setzt der Linkssozialist zwar weiter auf eine Radikalisierung und Revolutionierung der norwegischen Arbeiterbewegung. Eine direkte Konfrontation mit der AUF- und der DNA-Führung vermeidet er aber.

Führende Rolle bei „Mot Dag“

Seit Herbst 1933 ist Willy Brandt Mitglied der marxistischen Intellektuellenorganisation „Mot Dag“, bei deren Versammlungen er häufig referiert. Am 21. Juni 1934 macht der Vorstand ihn zum Geschäftsführer und Verkaufsleiter der elitären Gruppe. Ab der zweiten Jahreshälfte 1934 zählt der junge Deutsche zum Führungskern der weit verzweigten Organisation in Norwegen.

Brandt gehört auch dem Lektorat im Fram-Verlag in Oslo an, nimmt an Redaktionssitzungen der Zeitschrift „Mot Dag“ teil und ist u. a. Mitglied eines Hilfskomitees für Deutschland sowie des Internationalen Ausschusses. Zudem schreibt er seit Juni 1934 an einem „Arbeiterlexikon“ und an der ersten norwegischen Ausgabe von Karl Marxʼ „Das Kapital“ mit. Die Tätigkeit für „Mot Dag“ trägt dazu bei, seine materielle Existenz zu sichern.

Treffen in Malmö und Kopenhagen

Mitte August 1934 reist Willy Brandt zu einer internationalen Jugendkonferenz nach Malmö. Anschließend fährt er nach Kopenhagen, um mit SAPD-Genossen die politische Arbeit der Partei in Skandinavien zu besprechen.

In der dänischen Hauptstadt hat sich der junge Linkssozialist bereits im Mai 1934 während der Pfingsttage aufgehalten und mit Freunden über die Aktivitäten des Widerstands in Deutschland beraten.

Reisen nach Schweden und Dänemark sind für Brandt bald Routine. Im Laufe der 1930er Jahre macht er des Öfteren auch in Stockholm und in Göteborg Station.

Student an der Osloer Universität

Um die Chancen für die weitere Verlängerung seiner Aufenthaltsbewilligung zu verbessern, schreibt sich Willy Brandt am 1. September 1934 als Student an der Osloer Universität für die Fächer Neue Geschichte und Philosophie ein. Ende Oktober 1934 besteht er eine philosophische Vorprüfung, die für alle Studierenden obligatorisch ist.

Danach hört Brandt Geschichtsvorlesungen, doch einen Universitätsabschluss erwirbt er nicht. Das Studium ist für ihn nur Nebensache, da die politische Arbeit weiterhin ganz im Vordergrund steht.

Hilfe für angeklagte SAPD-Mitglieder

Am 26. November 1934 beginnt vor dem NS-Volksgerichtshof in Berlin der Prozess gegen 24 SAPD-Mitglieder. In Oslo organisiert Willy Brandt eine Solidaritätsaktion für die politischen Gefangenen. Gemeinsam mit seinem „Mot Dag“-Gefährten Aake Anker-Ording bringt er 19 norwegische Rechtsanwälte dazu, mit einem Schreiben an das Justiz- und das Außenministerium in Deutschland gegen die Misshandlungen der Inhaftierten und gegen die Anwendung nachträglich erlassener Gesetze zu protestieren.

Auf Betreiben von Brandts Lebensgefährtin Gertrud Meyer unterstützt der Justizfonds der norwegischen Arbeiterpartei DNA die Hilfsaktion finanziell. Aufgrund der großen internationalen Aufmerksamkeit fallen die Urteile des Volksgerichtshofs ausnahmsweise relativ milde aus.

Sitzung der SAPD-Aus­landszentrale in Paris

Am 8. Februar 1935 bricht Willy Brandt zum zweiten Mal nach Paris auf. Nach einer Konferenz der Internationalen Arbeitsgemeinschaft (IAG), dem Dachverband linkssozialistischer Parteien, nimmt der 21-Jährige vom 19.–27. Februar an einer Sitzung der Auslandszentrale der SAPD teil.

In einem Referat kritisiert er erstmals die norwegische Intellektuellenorganisation „Mot Dag“, die bis dato Partner der SAPD ist. „Mot Dag“ trete arrogant gegenüber den Arbeitern auf und habe nur geringen Einfluss in Norwegens Arbeiterbewegung. Brandt empfiehlt der SAPD, sich von „Mot Dag“ zu distanzieren und sich verstärkt der linken Opposition in der norwegischen Arbeiterpartei DNA zuzuwenden. Trotz einiger kritischer Stimmen billigt die SAPD-Führung diesen Vorschlag. Am 11. März 1935 kehrt Brandt nach Oslo zurück.

Regierungsübernahme durch DNA in Oslo

Nach seiner Rückkehr aus Paris wird Willy Brandt Zeuge eines Machtwechsels in Norwegen. Nach dem Sturz der Regierung Mowinckel bildet die Arbeiterpartei DNA am 20. März 1935 mit Ministerpräsident Johan Nygaardsvold an der Spitze eine Minderheitsregierung.

Brandts Haltung dazu fällt ambivalent aus: Einerseits sieht er die DNA-Regierungsbeteiligung als Chance, bedeutende Verbesserungen für Arbeiter und Bauern zu erreichen und die Voraussetzungen für die komplette Machtübernahme der Arbeiterbewegung zu schaffen. Andererseits kritisiert er die neue Regierung als viel zu kompromissbereit gegenüber dem König, der Kirche und den bürgerlichen Parteien. Dass ihr junger Freund in Oslo den DNA-Kurs nicht rundweg ablehnt, missbilligen Jacob Walcher und weitere SAPD-Mitglieder scharf.

Stockholmer Tagung von SAPD-Exilanten

Auf der Stockholmer Konferenz der skandinavischen Exilgruppen seiner Partei schlägt Willy Brandts Haltung zur DNA-Minderheitsregierung in Norwegen hohe Wellen. Sein kurz zuvor im SAPD-Organ „Neue Front“ erschienener Artikel, in dem er sich vorsichtig positiv zur Regierungsbeteiligung der norwegischen Schwesterpartei äußert, wird von den deutschen Genossen heftig kritisiert.

Sie behaupten, dass die von DNA angestrebte Reformpolitik „im Rahmen des Kapitalismus“ nur den Faschismus stärken werde. Brandt wird vorgehalten, er sei von den Reformvorstellungen der Arbeiterpartei Norwegens und deren Bekenntnis zum Parlamentarismus infiziert.

Bruch mit „Mot Dag“

Im Frühjahr 1935 verlässt Willy Brandt die marxistische Intellektuellengruppe „Mot Dag“, bei der er 1 ½ Jahre mitgearbeitet hat. In einem Brief an die SAPD-Auslandszentrale in Paris begründet der 21-Jährige am 18. Mai 1935 seine Entscheidung mit der Isolierung von „Mot Dag“ in Norwegens Arbeiterbewegung und dem Hochmut der Gruppe gegenüber einfachen Arbeitern.

Brandt wirft „Mot Dag“ zugleich vor, die Politik der DNA-Minderheitsregierung nicht zu kritisieren und somit den linken Flügel der norwegischen Arbeiterpartei zu schwächen. Auch über mangelnde Unterstützung für die deutschen Flüchtlinge beklagt er sich. Nach einigem Zögern geht auch Jacob Walcher in Paris auf Distanz zu „Mot Dag“. Nach der Erkrankung ihres Anführers Erling Falk löst sich die Gruppe im Juni 1936 auf.

Nobelpreis-Initiative für Carl v. Ossietzky

Seit 1933 ist der deutsche Publizist Carl von Ossietzky in Konzentrationslagern des „Dritten Reichs“ inhaftiert. Um ihm zu helfen und die Welt über die Lage der politischen Gefangenen in Deutschland aufzuklären, starten Freunde eine internationale Kampagne. Sie schlagen Ossietzky für den Friedensnobelpreis vor.

In Norwegen beteiligt sich Willy Brandt an der Aktion. Am 12. Juli 1935 wirbt er im „Arbeiderbladet“ für die Auszeichnung Ossietzkys. Durch Publikationen und Briefe sowie durch Gespräche mit norwegischen Politikern trägt Brandt zum Erfolg der Kampagne bei. 1936 verleiht das Osloer Nobelkomitee Ossietzky den Friedensnobelpreis für das Vorjahr. Persönlich entgegennehmen kann der KZ-Häftling den Preis aber nicht. 1938 stirbt Ossietzky an den Folgen der Haft.

Nachricht vom Suizid des Großvaters

Begleitet von seiner Freundin Gertrud Meyer sieht Willy Brandt Ende August 1935 zum ersten Mal nach seiner Flucht aus Deutschland seine Mutter Martha bei einem Treffen in Kopenhagen wieder. Der Anlass könnte trauriger kaum sein: Aus Verzweiflung über die politische Lage in Deutschland und über seine unglückliche Ehe hat sich Großvater Ludwig Frahm am 15. Juni 1935 mit einer Pistole das Leben genommen.

Brandt ist erschüttert über den Verlust und spürt, wie wenig ihn noch mit seiner Lübecker Kindheit verbindet. Dazu tragen auch die komplizierten Familienverhältnisse bei. Durch einen Onkel hat er schon 1934 erfahren, dass seine Mutter Martha nicht die leibliche Tochter von Ludwig Frahm ist.

Antifaschistische Einheit

Ab November 1935 leitet Willy Brandt die Antifaschistische Emigrantengemeinschaft in Oslo, die seit einem halben Jahr besteht. Sein Stellvertreter kommt von der Kommunistischen Internationale (Komintern). Brandt sucht die Zusammenarbeit mit den Kommunisten im Kampf gegen Hitler und für eine linke Einheitspartei.

Die Chancen für ein antifaschistisches Bündnis haben sich seit August 1935 schlagartig verbessert. Stalins Sowjetunion und die ihr hörigen Kommunisten verunglimpfen die Sozialdemokraten und Sozialisten nicht länger als Handlanger der Faschisten, sondern plädieren für eine gemeinsame Front, vor allem gegen den Nationalsozialismus in Deutschland. Doch Brandts Plan für eine Fusion der Jugendverbände von SAPD und KPD geht nicht auf. Durch Misstrauen und Streit scheitert die Idee bald.

Umzug in Oslo

Ende 1935 ziehen Willy Brandt und seine Lebensgefährtin Gertrud Meyer in eine Vier-Zimmer-Altbauwohnung in der Hollendergata Nr. 2/III in der Nähe des Ostbahnhofs. In den ersten beiden Jahren in Oslo haben sie in kleinen möblierten Zimmern gewohnt.

Nicht zuletzt durch Gertruds Stelle bei Wilhelm Reich hat das Paar keine finanziellen Sorgen und kann verhältnismäßig gut leben. Ihr Domizil wird zum Zentrum der Osloer Gruppe der SAPD und zur Anlaufstelle für neuankommende Parteimitglieder.

Im September 1937 werden Brandt und seine Partnerin in eine Neubauwohnung an den Stadtrand umziehen. Die Adresse in dem zur Gemeinde Østre Aker gehörenden Ortsteil Sinsen lautet: Schouterrassen, Wohnblock VII, 5. Stock.

Vorbereitung einer „Deutschen Volksfront“

Seit der Kursänderung der sowjetischen Außenpolitik scheint die Sammlung aller antifaschistischen Kräfte im Widerstand gegen Hitler und die Nazis möglich. Zu diesem Zweck treffen sich ab Herbst 1935 im Pariser Hotel „Lutetia“ ungefähr 50 Repräsentanten des deutschen Exils. Am 2. Februar 1936 gründet dieser Kreis einen Ausschuss, der eine Volksfront vorbereiten soll.

Ende 1936 beschließt und veröffentlicht der Ausschuss einen „Aufruf an das deutsche Volk“, in dem die Bildung einer „Deutschen Volksfront“ gefordert wird. In der Liste der 74 Unterzeichner finden sich neben 20 Sozialdemokraten und 14 Kommunisten auch 10 Vertreter der SAPD. Einer davon ist Willy Brandt, obwohl er nicht persönlich anwesend ist. Die SAPD-Auslandszentrale hat Vollmacht, über seine Unterschrift zu verfügen. Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehört auch der Lübecker Schriftsteller Heinrich Mann.

Erneuter Aufenthalt in Paris

Kurz vor dem 1. Mai 1936 kommt Willy Brandt erneut in die französische Hauptstadt, die er erstmals näher kennenlernt. Er wohnt zunächst in einem kleinen Hotel im Quartier Latin und dann bei Jacob Walcher im Vorort Les Plessis-Robinson. In Paris wird Brandt von der Aufbruchstimmung erfasst, die seit dem Wahlsieg der Linken in Frankreich herrscht und die Bildung einer Volksfront-Regierung begleitet.

Während seines fünfwöchigen Aufenthalts nimmt er u. a. an einer Sitzung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft (IAG) und einem Kongress französischer Gewerkschaften teil. Im Mittelpunkt stehen Beratungen mit der SAPD-Leitung und Versammlungen deutscher Exilanten. Dabei geht es vor allem um die Bildung einer deutschen Volksfront gegen das Nazi-Regime. Am 7. Juni kehrt Brandt nach Oslo zurück.

Neue Papiere

Am 4. Juli 1936 unterzeichnen sowohl Norwegen als auch Schweden die Genfer Flüchtlingskonvention. Damit verpflichten sich beide Staaten, den bei ihnen lebenden Flüchtlingen Identifikationspapiere auszustellen, den so genannten „Nansen-Pass“.

Auf diese Weise erhält Willy Brandt einen norwegischen Fremdenpass, ausgestellt auf den Namen Herbert Frahm. Sein deutscher Reisepass von 1931 ist am 1. Juli 1936 abgelaufen.

Parteiauftrag für „Metro“

Im August 1936 erhält Willy Brandt einen Brief von Jacob Walcher aus Paris, wonach er sich für einen baldigen Einsatz in „Metro“ bereit machen soll. Im Auftrag der SAPD-Auslandszentrale soll der 22-Jährige in Berlin Kontakt zu den ca. 200 SAPD-Genossen aufnehmen, die im Untergrund noch Widerstand leisten, jedoch seit einigen Monaten führungslos sind.

Brandt äußert zwar erhebliche Zweifel, verweigert sich der gefährlichen Aufgabe aber nicht. Während seines Berlin-Aufenthalts will er die Identität eines norwegischen Studenten annehmen. Der Norweger Gunnar Gaasland, der Scheinehemann von Gertrud Meyer, stellt ihm dafür seinen Pass zur Verfügung, in den das Foto des jungen Deutschen eingesetzt wird. Um den 18. September 1936 verlässt Willy Brandt Oslo und reist zur Vorbereitung seiner Mission nach Paris.

„Illegaler“ Aufenthalt in Berlin

Von Paris aus fährt Willy Brandt vermutlich Anfang Oktober 1936 mit der Bahn nach Berlin. Getarnt als norwegischer Student Gunnar Gaasland, hält er sich bis kurz vor Weihnachten in der Reichshauptstadt auf. Er wohnt zur Untermiete am Kurfürstendamm/Ecke Joachimsthaler Straße. Vormittags „studiert“ der 22-Jährige. In der Preußischen Staatsbibliothek befasst er sich mit der NS-Ideologie, liest Zeitungen und Zeitschriften.

Nachmittags, am frühen Abend und an den Wochenenden trifft Brandt sich im Geheimen mit SAPD-Mitgliedern. Mit viel Glück bleibt die wahre Identität des norwegischen Studenten unerkannt. Die in Berlin gewonnenen Eindrücke vom Widerstand der Untergrundgruppen gegen das Nazi-Regime verarbeitet Brandt in einem Artikel, der im März 1937 anonym erscheint.

„Kattowitzer Konferenz“ der SAPD

Nachdem sie Weihnachten gemeinsam in Prag verbracht haben, reisen Willy Brandt und Gertrud Meyer Ende Dezember 1936 zunächst nach Brünn. Dort soll eine lange geplante Parteikonferenz der SAPD stattfinden. Kurzfristig aber muss das Treffen, das aus Tarngründen „Kattowitzer Konferenz“ heißt, nach Mährisch-Ostrau verlegt werden.

Die Versammlung Anfang Januar 1937 verläuft sehr kontrovers. Die 17 Delegierten, zu denen auch Brandt und Meyer zählen, sind sich uneins über den künftigen Kurs der SAPD im Widerstand. Aufgrund der geringen Wirkungsmöglichkeiten ihrer kleinen Partei befürworten Jacob Walcher und Willy Brandt eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Kommunisten und mit linken Sozialdemokraten von der Gruppe „Neu Beginnen“. Ihr Ziel ist die Bildung einer revolutionären Einheitspartei. Einige Genossen beharren dagegen kompromisslos auf einem eigenständigen Weg der SAPD. Dieser Streit führt wenig später zur Spaltung der Partei.

Für Willy Brandt endet die Konferenz mit einer persönlichen Enttäuschung. Er wird nicht in die engere Parteileitung gewählt, weil ältere Delegierte ihn dafür als zu jung ansehen. Einen starken Eindruck hinterlässt der 23-Jährige jedoch bei Stefan Szende, den er kurz zuvor bereits in Prag getroffen hat. Zwischen beiden entsteht eine lebenslange Freundschaft, die vor allem während der gemeinsamen Zeit im schwedischen Exil besonders eng ist.

Im Anschluss an die „Kattowitzer Konferenz“ nimmt Brandt in Warschau an einem Kongress der Jugend des „Allgemeinen Jüdischen Arbeiterbundes in Polen“ („Bund“) teil. Über Danzig und Kopenhagen kehrt er am 12. Januar 1937 nach Oslo zurück.

Erneuter Aufbruch nach Polizeiverhör

Bald nach seiner Wiederankunft in Oslo erhält Willy Brandt eine Vorladung der norwegischen Polizei. Ein Beamter stellt ihm Fragen zu Namen, Einkünften, politischen Aktivitäten, Auslandsreisen und seinem deutschen Pass.

Ungeachtet dieses Verhörs verlässt Brandt schon am 14. Februar 1937 Norwegen erneut für einen längeren Auslandsaufenthalt im Auftrag der SAPD. Über Dänemark und das belgische Antwerpen reist Willy Brandt, begleitet vom norwegischen Journalisten Per Monsen, zunächst nach Paris. Dort besorgen sie sich Visa für die Weiterfahrt nach Spanien.

Beobachter im Spanischen Bürgerkrieg

Anfang März 1937 trifft Willy Brandt in Spanien ein. Im Auftrag der SAPD soll er eine Konferenz des Internationalen Büros Revolutionärer Jugendorganisationen vorbereiten, das inzwischen in Barcelona ansässig ist. Zugleich will Brandt für die norwegische Arbeiterpresse über den Spanischen Bürgerkrieg berichten, in dem sich seit Juli 1936 Francos Faschisten und die Truppen der Republikaner bekämpfen.

Bei einem Besuch der Aragonfront in Huesca im März 1937 erlebt der junge Deutsche, ohne je selbst eine Waffe zu benutzen, die erbarmungslose Härte des Krieges. Brandt ist auch für das vom norwegischen Gewerkschaftsbund initiierte „Hilfskomitee für Spanien“ tätig. Es unterstützt Krankenhäuser und Kinderheime und verteilt Medikamente und Lebensmittel an die notleidende Bevölkerung.

Deprimierende Wochen in Barcelona

Willy Brandts Aufenthalt in Barcelona steht unter keinem guten Stern. Die Versorgungslage ist schlecht und Geldüberweisungen bleiben aus, so dass er sich verschulden muss. Zudem ist Brandt politisch isoliert. Bei der internationalen Jugendkonferenz Anfang Mai 1937 gibt es nur Streit. Die ultralinke „Arbeiterpartei der marxistischen Einheit“ (POUM) verurteilt die Volksfrontpolitik ihrer Schwesterpartei SAPD als „konterrevolutionär“.

Besonders bedrückend sind die blutigen Konflikte im republikanischen Lager. Moskautreue Kommunisten gehen gegen Anarchisten und „Trotzkisten“ vor. Mehrere Linkspolitiker verschwinden spurlos, darunter auch ein Freund von Brandt. Vermutlich haben Agenten Stalins sie ermordet. Enttäuscht und deprimiert reist Willy Brandt am 25. Juni 1937 ab.

Bei der SAPD-Leitung in Paris

Im Sommer 1937 hält Willy Brandt sich für mehrere Wochen in Paris auf. Anfang Juli berichtet er in einer Sitzung der erweiterten Leitung der SAPD über seine Erfahrungen im Spanischen Bürgerkrieg. Den Kampf zwischen den Truppen Francos und den republikanischen Verbänden bezeichnet Brandt als „Vorgefecht in der großen, unweigerlich herannahenden Weltauseinandersetzung zwischen Faschismus und Sozialismus“. Er prangert an, dass die Kommunisten die Einheitsfront der Arbeiterbewegung untergraben, indem sie linke Kräfte in Spanien verfolgen.

In Paris trifft Willy Brandt auch den niederländischen Gewerkschafter Edo Fimmen. Der Vorsitzende der Internationalen Transportarbeiter-Föderation (ITF) unterhält ein Kontaktnetz, über das Seeleute antifaschistisches Material nach Deutschland schmuggeln.

Konferenzen in England und Schweden

Anfang August 1937 verlässt Willy Brandt Paris und reist erstmals auf die britische Insel. In Letchworth, nördlich von London, ist er vom 8. bis 12. August Teilnehmer an einer Sitzung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft (IAG), des Dachverbandes linkssozialistischer Parteien. Bei der Tagung wird Brandt als Vertreter der SAPD heftig attackiert. Ultralinke Sektierer beschuldigen ihn sogar, während seines Aufenthalts in Spanien den Österreicher Kurt Landau bei den Kommunisten angeschwärzt zu haben. Landau, der sich monatelang versteckt hält, wird schließlich im September 1937 in Barcelona entführt und taucht nie wieder auf. Brandt weist die haltlosen Vorwürfe, mit denen er auch später konfrontiert wird, energisch zurück.

Vom 16. bis 21. August nimmt Willy Brandt in Südschweden an einer Konferenz des Sozialistischen Jugendverbandes Deutschlands (SJVD), der Jugendorganisation der SAPD, teil. Auf seinen Antrag wird beschlossen, dass der SJVD das Internationale Büro Revolutionärer Jugendorganisationen verlässt. Die Anwesenden sprechen sich auch dafür aus, mit jenen sozialdemokratischen Nachwuchskräften in der Sozialistischen Jugend-Internationale (SJI) zusammenzuarbeiten, die für die Einheit der Arbeiterbewegung eintreten. Bei diesem Treffen hält auch Wilhelm Reich einen Vortrag. Die Initiative dazu ist von Willy Brandt ausgegangen, der während seines Aufenthaltes in Spanien im Frühjahr 1937 intensiv mit dem Psychoanalytiker korrespondiert hat. Am 22. August 1937 kehrt Brandt nach Oslo zurück.

Zeitschrift deutscher Emigranten in Oslo

Unter Beteiligung Willy Brandts gründen deutsche Linkssozialisten, Kommunisten und linke Sozialdemokraten am 27. September 1937 in Oslo die Zeitschrift „Det skjulte Tyskland“ („Das verborgene Deutschland“). Aus der Taufe gehoben wird das Projekt im Haus von Johan Vogt und dessen Frau Gerd.

Im Tagebuch des norwegischen Wirtschaftswissenschaftlers findet sich dazu folgender Eintrag: „Heute haben wir eine wichtige Aufgabe vorbereitet, die dazu beitragen soll, unser Deutschland mit unserm Norwegen zu verbinden. Dank an Gerd und Johan Vogt, daß sie uns Raum dafür geben. 27/9/1937 Willy Brandt“.

Die neue Zeitschrift will die norwegische Öffentlichkeit über die Verhältnisse im „Dritten Reich“ aufklären und über die Widerstandsarbeit der politischen Flüchtlinge informieren. Das Organ der von Brandt geleiteten „Arbeitsgemeinschaft Oslo“ wird bis Mai 1939 erscheinen.

Nordische Volksfront-Konferenz

Mitte Oktober 1937 nimmt Willy Brandt in Göteborg an einer Tagung deutscher Sozialdemokraten, Linkssozialisten und Kommunisten aus Norwegen, Dänemark und Schweden teil. Sie ist der Höhepunkt der Einheits- und Volksfrontaktivitäten des deutschen Exils in Skandinavien.

In einem Schreiben an die SAPD-Leitung in Paris zeigt sich Brandt anschließend sehr zufrieden damit, dass bei der Konferenz die konkrete Widerstandsarbeit und nicht theoretische Diskussionen im Mittelpunkt gestanden haben.

Streit in der Osloer SAPD-Gruppe

Während Willy Brandts monatelanger Abwesenheit hat sich in Oslo einiges verändert. Unter den neu ankommenden deutschsprachigen Exilanten sind immer mehr Sozialdemokraten, denen sich die norwegische Arbeiterpartei DNA verstärkt zuwendet. Auch in der kleinen Osloer SAPD-Gruppe vollzieht sich ein personeller Wandel. Ältere und akademisch gebildete Parteimitglieder sind zugezogen und stellen nach Brandts Rückkehr dessen Führungsrolle in Frage.

Nachdem ihm die Mehrheit der Gruppe das Vertrauen entzogen hat, legen Willy Brandt und Gertrud Meyer am 8. November 1937 alle ihre Funktionen nieder. Zwar wird Brandt Ende November noch einmal in die kollektive Gruppenleitung gewählt. Doch der Kompromiss kann nicht verdecken, dass die SAPD-Zelle tief gespalten ist.

Vorträge in Norwegen

In den ersten beiden Monaten des Jahres 1938 ist Willy Brandt viel in Norwegen unterwegs, um in Städten und Gemeinden Vorträge zu halten. In Torp, 100 km südlich von Oslo, spricht er am 5. Januar 1938 über die Lage in Spanien.

Von Ende Januar bis Mitte Februar hält sich der 24-Jährige in Westnorwegen auf, wo Auftritte beim Arbeidersamfunn in Høyanger und in Bergen auf seinem Programm stehen. Die Titel der dortigen Vorträge lauten: „5 års Nazistyre – De tyske arbeidernes kamp for bedre kår“ („5 Jahre Nazi-Herrschaft – Der Kampf der deutschen Arbeiter für bessere Bedingungen“) und „Nazismens krise“ („Die Krise des Nazismus“).

Endgültige Spaltung der SAPD-Gruppe Oslo

Der seit Monaten schwelende Konflikt in der SAPD-Zelle in Oslo bricht im Frühjahr 1938 erneut offen aus. Die Mehrheit der Gruppe wirft Willy Brandt „illoyale und selbstherrliche Methoden“ vor und will nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten. Bei der Neuwahl des Vorsitzes unterliegt er seinem Kontrahenten Paul Wassermann mit drei zu sieben Stimmen.

Allerdings weigert sich Brandt, das Ergebnis anzuerkennen und schaltet deswegen die SAPD-Auslandszentrale in Paris ein. Nachdem ein Schlichtungsversuch scheitert, entscheidet die Parteiführung im September 1938 gegen Wassermann. Dieser verlässt daraufhin mit acht weiteren Mitgliedern die SAPD. Am Jahresende besteht die Osloer Gruppe praktisch nicht mehr.

Gruppenreise durch die Niederlande und Belgien

Vom 24. Juni bis 11. Juli 1938 begleitet Willy Brandt Mitglieder der norwegischen Gemeindearbeiter-Gewerkschaft bei einer Reise durch die Niederlande und Belgien. Von Oslo fährt die Gruppe per Schiff über Kristiansand nach Rotterdam. Weitere Stationen sind Den Haag, Scheveningen, Amsterdam, Hilversum, Alkmaar, Zuidersee, Brüssel, Charleroi und Antwerpen.

Brandt fungiert als Dolmetscher und ist bei allen offiziellen Anlässen Sprecher der Delegation. Das Gewerkschaftsorgan berichtet: „Er trat mit einer Würde und Klugheit auf, die unsere Bewunderung erweckte und die dazu führte, dass wir überall mit Respekt und Ehrenbezeigung behandelt wurden.“ Nach seiner Rückkehr bleibt Brandt nur wenige Tage in Oslo, ehe er am 17. Juli 1938 zu einer weiteren Reise nach Paris aufbricht.

Wieder in Paris

Den Sommer verbringt Willy Brandt wieder in der französischen Hauptstadt. Am 23./24. Juli 1938 nimmt er an einer Tagung der „Freien deutschen Jugend“ (FDJ) teil, die seit Januar 1936 als gemeinsame Plattform der kommunistischen und linkssozialistischen Jugendverbände besteht.

Am 27./28. August 1938 findet in Paris zudem eine Sitzung der Internationalen Arbeitsgemeinschaft (IAG) statt. Da der Dachverband linkssozialistischer Parteien aber nur noch eine Ansammlung von streitsüchtigen Sektierern ist, verlässt Brandt die Sitzung vorzeitig. Kurz danach tritt die SAPD aus der IAG aus.

Am 20. September 1938 erlebt der 24-Jährige auch das endgültige Scheitern der deutschen Volksfront. Ein Viertel der Teilnehmer, darunter Brandt, weigert sich, die von den Kommunisten verfassten Aufrufe zu unterschreiben.

Ausbürgerung aus Deutschland

Fünf Jahre dauert es, bis die Gestapo feststellt, dass Herbert Frahm und Willy Brandt ein und dieselbe Person sind. Wie Tausenden anderen ins Ausland geflüchteten Hitler-Gegnern entziehen ihm die NS-Behörden wegen seines Widerstands die deutsche Staatsbürgerschaft.

Das entsprechende Verfahren gegen Frahm/Brandt wird Mitte März 1938 eröffnet. Die Ausbürgerung erfolgt am 5. September 1938 durch die Verkündung im Reichsanzeiger. Die Akten zeigen indes, dass die deutsche Geheimpolizei insgesamt nur relativ wenig über Willy Brandt und seine Aktivitäten im Exil weiß. Über die Deutsche Gesandtschaft in Norwegen kennt die Gestapo in Berlin allerdings seit 1937 seine Wohnadresse in Oslo.

Sekretär des Spanien-Komitees

Willy Brandts Beziehungen zur Arbeiterbewegung in Norwegen werden im Laufe des Jahres 1938 immer enger. Im Herbst 1938 wird er Sekretär beim „Norwegischen Hilfskomitee für Spanien“ („Den norske Hjelpekomité“).

Obwohl er weiterhin keine behördliche Arbeitserlaubnis besitzt, ist Brandt dort als Pressereferent tätig. Er hält Vorträge über Spanien und schreibt für die norwegische Arbeiterpresse. Darüber hinaus leitet Brandt an der Arbeiterhochschule auf der Insel Malmøya 1938/39 Einführungskurse in die Gewerkschaftsarbeit.

Kritik an westlicher Nachgiebigkeit

Für die Gegner der NS-Diktatur ist 1938 ein Jahr voller bitterer Enttäuschungen. Im März sind deutsche Truppen in Österreich einmarschiert, ohne dass das Ausland eingegriffen hätte. Am 1. Oktober hat die Wehrmacht auch das Sudetenland besetzt und sich damit einen Teil der Tschechoslowakei einverleibt. Tags zuvor haben Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien das Münchner Abkommen unterzeichnet, mit dem die Regierung in Prag zur Gebietsabtretung an das „Dritte Reich“ gezwungen worden ist.

In einem Artikel für die norwegische Zeitschrift „Det 20de århundre“ kritisiert Willy Brandt die Nachgiebigkeit und Schwäche der Westmächte, die Hitlers Appetit nur weiter steigern würden. Das Abkommen von München habe das NS-Regime im Innern gestärkt und werfe die deutsche Opposition erneut weit zurück. Der 25-Jährige hat keinen Zweifel daran, dass Hitler mit einem Krieg ganz Osteuropa erobern will. Dafür sprechen aus Brandts Sicht auch die Pogrome gegen die deutschen Juden im November 1938. Die Judenverfolgung sei „Ausdruck für den rücksichtslosen Kampf des Nazismus gegen alles, was Humanität heißt“, schreibt er wenig später in einem Beitrag für eine norwegische Gewerkschaftszeitung.

Sozialistische Arbeitsgemeinschaft

Unter der Parole „Sozialistische Konzentration“ ist Willy Brandt maßgeblich daran beteiligt, die gemäßigt linken Kräfte des deutschen Exils in Oslo zusammenzuführen. Anfang 1939 schließen sich Vertreter von SAPD und Neu Beginnen sowie Revolutionäre Sozialisten, die zur Sozialdemokratie zurückgekehrt sind, zur „Arbeitsgemeinschaft der deutschen proletarischen Emigration“ zusammen.

Zu ihr gehören auch einige Österreicher, die nach dem „Anschluss“ im März 1938 nach Norwegen geflohen sind. Infolge der völligen Zerschlagung der Tschechoslowakei im Frühjahr 1939 stoßen bald auch Sozialisten aus diesem Land zur Gruppe hinzu. Ab September 1939 gibt die „Arbeitsgemeinschaft deutscher, österreichischer und tschechisch-slowakischer Sozialisten“ vierzehntägig einen „Informationsbrief“ heraus.

Neues Programm der DNA

Im Frühjahr 1939 legt die norwegische Arbeiterpartei DNA den Entwurf für ein neues Programm vor, das sie am Jahresende beschließen wird. Sie will weiterhin die kapitalistische Ausbeutung abschaffen und eine klassenlose, sozialistische Gesellschaft aufbauen. Doch distanziert sich die seit vier Jahren mit pragmatischer Reformpolitik regierende Partei von marxistischen Klassenkampf-Begriffen. Sie lehnt jede Form der Diktatur ab und bekennt sich zu einer „schlagkräftigen Demokratie“.

In einem Artikel für die SAPD-Zeitschrift „Neue Front“ im April 1939 kommentiert Willy Brandt den Entwurf sehr wohlwollend. Seine frühere Skepsis gegen DNA ist längst in Bewunderung für ihre Erfolge umgeschlagen. Aus seiner Sicht betreibt sie „die fortschrittlichste Politik der Parteien der nordischen Länder“.

Ausreise von Gertrud Meyer in die USA

Im Mai 1939 verlässt Gertrud Meyer Oslo und fährt mit einem Schiff nach New York. Dort soll sie alles für den Umzug von Wilhelm Reich in die USA vorbereiten. Unklar ist, ob die Beziehung zwischen ihr und Willy Brandt zu diesem Zeitpunkt noch besteht oder ob es eine Trennung auf Zeit ist.

Eine Übersiedlung nach Amerika, die im Gespräch ist, beurteilt Brandt skeptisch. Grundvoraussetzung dafür ist die norwegische Staatsbürgerschaft. Doch die Bewilligung seines Einbürgerungsantrags verzögert sich. Außerdem ist offen, was die SAPD-Leitung mit ihm vorhat. Im Frühjahr 1939 schlägt Jacob Walcher vor, der 25-Jährige könne nach Paris ziehen. Kurz darauf heißt es, Brandt solle nach London gehen. Der Kriegsausbruch im September 1939 macht einen Strich durch alle Rechnungen.

Antrag auf norwegische Staatsbürgerschaft

Da er seit September 1938 staatenlos ist, hat Willy Brandt seine Einbürgerung in Norwegen beantragt. Doch Ende Juni 1939 stellt das Justizministerium in Oslo seinen Antrag vorläufig zurück. Zwar erfüllt Brandt die Mindestanforderung eines fünfjährigen Aufenthalts im Land. Aber den Nachweis, regelmäßig Steuern gezahlt zu haben, kann er nicht erbringen.

Seine Einkünfte in Norwegen hat er nicht versteuern können, da man ohne Arbeitserlaubnis offiziell gar nicht erwerbstätig sein darf. Immerhin wird dem 25-Jährigen eine permanente Aufenthaltserlaubnis gewährt, die bis dato immer nur für ein halbes Jahr verlängert worden ist.

Verfahren wegen „Hochverrats“

1939 wird den NS-Behörden bekannt, dass ein in Bremen verhafteter SAPD-Genosse im August 1937 bei einer Tagung in Südschweden Willy Brandt und den Psychoanalytiker Wilhelm Reich getroffen hat. Daraufhin tauchen auch deren Namen in einem Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der „Vorbereitung zum Hochverrat“ auf.

Da sich beide im Ausland aufhalten und der Inhaftierte sich standhaft weigert, Informationen über sie preiszugeben, wird das Verfahren gegen Brandt und Reich Ende Juli 1939 vom nun zuständigen Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof in Berlin fortgeführt. Letztlich kommt es gegen keinen der beiden zu einer Anklage oder zu einem Prozess. Aber noch 1943 fragt der Volksgerichtshof bei der Gestapo nach neuen Informationen über die Verdächtigen nach.

Entsetzen über Hitler-Stalin-Pakt

Am 23. August 1939 unterzeichnen die Außenminister Ribbentrop und Molotow in Moskau überraschend den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, den so genannten Hitler-Stalin-Pakt. Die Vereinbarung der bisherigen Todfeinde soll für die Dauer von 10 Jahren gelten. Damit hat Hitler-Deutschland freie Hand für einen Krieg gegen Polen. Im geheimen Zusatzprotokoll vereinbaren das Deutsche Reich und die Sowjetunion die Aufteilung Polens sowie die Festlegung ihrer Interessensphären im Baltikum, in Finnland und in Bessarabien, das zu Rumänien gehört.

Linke Antifaschisten wie Willy Brandt sind entsetzt über den Hitler-Stalin-Pakt. Die Sowjetregierung habe sich damit „nicht nur außerhalb der sozialistischen Arbeiterbewegung, sondern auch des Antinazismus gestellt“, schreibt Brandt im Oktober 1939 in einer Broschüre über die „Außenpolitik der Sowjetunion 1917–1939“. Das sowjetische System, mit dem er und die SAPD bis Mitte der 1930er Jahre sympathisiert haben, lehnt der 25-Jährige inzwischen entschieden ab. „Die Erfahrung zeigt, dass Sozialismus mehr ist als die Übernahme der Produktionsmittel durch den Staat. Der Sozialismus muss auf Freiheit und Demokratie aufbauen“, erklärt Brandt. Von der Kommunistischen Internationale (Komintern), die von Moskau gesteuert wird, hat er sich schon einige Monate zuvor scharf abgegrenzt.

Deutscher Überfall auf Polen

Am 1. September 1939 überfällt die deutsche Wehrmacht Polen. Zwei Tage später erklären Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg, ohne aber in die Kämpfe einzugreifen. Binnen weniger Wochen ist Polen geschlagen. Am 17. September 1939 marschieren zudem sowjetische Truppen in den Osten des Landes ein. Die im Hitler-Stalin-Pakt vereinbarte Aufteilung Polens ist besiegelt.

„Nie [war] unsere Ohnmacht stärker als jetzt“, notiert Willy Brandt Anfang September 1939. Trotzdem glaubt er, dass Deutschland den Krieg gegen die Westmächte nicht gewinnen kann und es im weiteren Verlauf zu einem deutsch-sowjetischen Konflikt kommen wird. Gemeinsam mit seinen sozialistischen Freunden in Oslo hat Brandt ein klares Ziel: „Es kommt darauf an, dass Hitler in diesem Krieg geschlagen wird.“

Sowjetischer Angriff auf Finnland

Am 30. November 1939 greift die Sowjetunion Finnland an, da dessen Regierung auf Gebietsforderungen nicht eingehen will. Der Angriff löst besonders in Skandinavien große Empörung und eine Welle der Solidarität mit dem finnischen Volk aus.

Willy Brandt hält das sowjetische Vorgehen für „kompletten Wahnsinn“. In der norwegischen Zeitschrift „Det 20de århundre“ fordert er Anfang 1940, dass die gesamte sozialistische Arbeiterbewegung sich klar von der Sowjetunion abgrenzen müsse. „Die Politik Stalins bedeutet überall in der Welt eine Stärkung der reaktionären anti-sozialistischen und arbeiterfeindlichen Kräfte“, schreibt Brandt. Der Winterkrieg endet im März 1940 mit dem Friedensvertrag von Moskau. Finnland bleibt unabhängig, muss aber Gebietsverluste hinnehmen.

Sekretär der Norwe­gischen Volkshilfe

Seit dem Herbst 1938 ist Willy Brandt Sekretär beim „Norwegischen Hilfskomitee für Spanien“ („Den norske Hjelpekomité“), für das er in Oslo als Pressereferent arbeitet. Auch als sich das Hilfskomitee im Dezember 1939 in Norwegische Volkshilfe („Norsk Folkehjelp“) umbenennt, behält er seinen Posten.

Die Volkshilfe ist eine soziale Organisation der norwegischen Arbeiterbewegung. Sie betreibt nicht nur karitative Einrichtungen in Norwegen, sondern leistet auch humanitäre Hilfe im Ausland. So unterstützt die Volkshilfe die zivilen Opfer des finnisch-sowjetischen Winterkriegs. Als Leiter eines Solidaritätskomitees ruft Brandt für diesen Zweck zu Geld- und Sachspenden auf. Der 25-Jährige ist auch immer wieder als Dozent bei Bildungsveranstaltungen gefragt.