Transatlantische Partner – Beziehungen zu den USA 1939–1992

Nach ersten Kontakten Anfang der 1940er Jahre entwickelt Willy Brandt nach dem Krieg enge und freundschaftliche Beziehungen zu den USA. Für den Regierenden Bürgermeister von Berlin und den Bundeskanzler in Bonn ist die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika die unverzichtbare Grundlage seines außenpolitischen Handelns. Ungeachtet mancher Spannungen mit verschiedenen US-Regierungen und trotz der Kritik, die er insbesondere als „elder statesman“ an den USA übt, hat Brandt fast durchweg ein positives Bild von Amerika.

Gemeinsames Hoffen auf ein demokratisches Europa

Während seines Exils in Skandinavien sind die Vereinigten Staaten von Amerika für Willy Brandt ein Hoffnungsträger im Kampf gegen Hitler-Deutschland und für die Befreiung Europas. Als Stockholmer Korrespondent einer Nachrichtenagentur in New York pflegt er ab 1940 Kontakte zu US-Amerikanern und zu politischen Freunden, die in die USA geflohen sind. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs hegt er vorübergehend selbst den Plan, nach Amerika zu emigrieren.

Brandt zeigt Bewunderung für das freiheitlich-demokratische System der USA. Besonders beeindruckt ihn die Wirtschaftspolitik des „New Deal“ von Präsident Franklin D. Roosevelt. Dessen „Eine-Welt-Idee“ und die angloamerikanische Atlantikcharta von 1941 beeinflussen stark Brandts Überlegungen für die Nachkriegszeit. Er sieht die USA in der Verantwortung, in Zusammenarbeit mit der Sowjetunion nach dem Sieg über das Nazi-Regime den Wiederaufbau eines demokratischen Europa voranzutreiben und den Frieden in der Welt zu sichern.

Partnerschaft im Berlin des Kalten Krieges

Seit der „Luftbrücke“ gegen die sowjetische Blockade der Berliner Westsektoren 1948/49 sind die USA für Willy Brandt der Garant von Sicherheit, Freiheit und Demokratie nicht nur in West-Berlin, sondern auch in Westdeutschland und in Westeuropa. Im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion und die kommunistische Diktatur erkennt er Amerikas Rolle als Führungsmacht „der freien Welt“ an, deren Vorposten Berlin ist. Dementsprechend plädiert Brandt schon in den frühen 1950er Jahren für eine Bündnispartnerschaft zwischen der jungen Bundesrepublik und den USA. Dabei erhofft er sich nicht zuletzt auch die Unterstützung Amerikas für die Wiedervereinigung des geteilten Deutschland.

Seine transatlantischen Kontakte, die er bereits seit Ende der 1940er Jahre systematisch aufbaut, werden noch enger, als Willy Brandt 1957 Regierender Bürgermeister wird. Bei hochrangigen amerikanischen Politikern, Gewerkschaftern und Militärs wirbt er immer wieder für die Interessen Berlins und erhält dabei viel Unterstützung. Während der zweiten Berlin-Krise ab November 1958 sind die West-Berliner auf den Beistand der USA besonders angewiesen. Brandts Appelle an die Amerikaner, den sowjetischen Forderungen nicht nachzugeben und mit den Briten und Franzosen in der Stadt zu bleiben, haben Erfolg.

Der Mauerbau 1961 stellt die Beziehung zu den USA aber auf eine harte Probe. Die Passivität von US-Präsident John F. Kennedy gegen die Grenzschließung führt bei Willy Brandt zu einer Vertrauenskrise. Sie wird überwunden zum einen durch die amerikanische Entschlossenheit, West-Berlin nicht preiszugeben, und zum anderen durch die gemeinsame Überzeugung von Kennedy und Brandt, dass gegenüber der Sowjetunion und Osteuropa eine Politik der Entspannung eingeleitet werden muss.

Gleichklang und Dissonanzen in der Ära der Ostpolitik

Als Bundeskanzler informiert Willy Brandt die US-Regierung ab 1969 fortwährend über seine neue Ost- und Deutschlandpolitik, für die er die Rückendeckung des wichtigsten Bündnispartners der Bundesrepublik sucht. Dabei stößt er anfangs auf starke Vorbehalte von Präsident Richard Nixon und dessen Sicherheitsberater Henry Kissinger. Doch beide erkennen bald, dass Brandts Kurs mit der amerikanischen Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion kompatibel ist, und unterstützen ihn. Besonders eng ist die Zusammenarbeit zwischen Bonn und Washington während der Verhandlungen über das Berlin-Abkommen 1971.

Zum Krieg der USA in Vietnam vermeidet der Kanzler offene Kritik. Die infolge des Militäreinsatzes eintretende Dollar-Krise führt jedoch zu heftigen transatlantischen Turbulenzen in der Währungs- und Wirtschaftspolitik. Mit zunehmendem Misstrauen sieht die Nixon-Administration das durch die Ostpolitik gewachsene Selbstbewusstsein der Bundesrepublik.

Auch Brandts Forderung nach einem stärkeren internationalen Gewicht der Europäischen Gemeinschaft gegenüber den beiden Supermächten sorgt im Weißen Haus für Verstimmung. Wegen US-Waffenlieferungen an Israel während des vierten Nahost-Kriegs kommt es Ende Oktober 1973 zu einer schweren Krise in den deutsch-amerikanischen Beziehungen.

Kritischere Beziehungen in den späten Jahren

Als Präsident der Sozialistischen Internationale (ab 1976) und als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission (1977–1984) kritisiert Willy Brandt die USA offener als je zuvor. Er wirft Amerika einen Rückfall in den Kalten Krieg vor. Anfang der 1980er Jahre ist der Sozialdemokrat sehr besorgt über die massive atomare Aufrüstung unter Präsident Ronald Reagan, vor allem über die Aufstellung amerikanischer Raketen in Westeuropa im Zuge des NATO-Doppelbeschlusses.

Nicht nur die Sicherheitspolitik, auch die Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie das Vorgehen der USA in Lateinamerika stoßen auf den starken Widerspruch des SPD-Vorsitzenden. Die Folge: Als erster US-Präsident weigert sich Reagan 1985, mit Brandt zusammenzutreffen. Den Vorwurf des Anti-Amerikanismus weist der Altkanzler, der weiterhin enge Kontakte in die Vereinigten Staaten unterhält, stets entschieden zurück.

Der Streit darüber ist Ende der 1980er Jahre kein Thema mehr. Die amerikanisch-sowjetischen Abkommen zur atomaren Abrüstung begrüßt Willy Brandt sehr. Auch zur Rolle der USA im deutschen Einigungsprozess 1989/90 findet der Ehrenvorsitzende der SPD nur lobende Worte. Die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands wertet er als Erfolg der transatlantischen Partnerschaft, deren Fortbestand und Weiterentwicklung er als notwendig ansieht – für den Frieden und die Freiheit in Europa und in der Welt.

Die militärische Reaktion der USA auf die Golfkrise 1990/91 heißt Willy Brandt jedoch nicht willkommen. Da er einen Flächenbrand in der Region befürchtet, spricht er sich bis zuletzt für eine diplomatische Lösung des Konflikts aus. Dessen ungeachtet befreien im Auftrag der UNO die unter US-Oberkommando stehenden alliierten Truppen das vom Irak zuvor besetzte Kuwait.


Literaturhinweise:

Willy Brandt: Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960–1975, Hamburg 1976.

Judith Michel: Willy Brandt und die Vereinigten Staaten von Amerika, in: Bernd Rother (Hrsg.): Willy Brandts Außenpolitik, Wiesbaden 2014, S. 93–160.

Remembering Willy Brandt. Egon Bahr, Henry Kissinger und die deutsch-amerikanischen Beziehungen, Berlin 2003 (Heft 10 der Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung).

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