Stimmen und Meinungen zu Willy Brandt

 

1. Zeitgenössische Urteile 1930–1990

1930–1946

Oberstudienrat Dr. Walter Kramer, Lehrer am Johanneum in Lübeck (ca. 1930)
„Bei einer Gelegenheit ließ er meine Mutter wissen: ,Halten Sie Ihren Sohn von der Politik fern! Der Junge hat gute Anlagen, es ist schade um ihn. Die Politik wird ihn ruinieren.ʻ“
Willy Brandt: Mein Weg nach Berlin. Aufgezeichnet von Leo Lania, München 1960, S. 36

Klassenkonferenz am Johanneum in Lübeck
„Frahm ist nach Aussage seiner Mutter, die das bedauert, ein Fanatiker seiner Überzeugung – eine häufige Zeiterscheinung bei jugendlichen Menschen.“
Aus dem Protokoll einer Klassenkonferenz, 14. September 1931

Irmgard Enderle über die gemeinsame Zeit im Exil
„Er war immer vollkommen von der Politik besessen, und alles war für ihn Politik und Beschäftigung mit der Politik. Aber er konnte im Freundeskreis außerordentlich losgelöst und fröhlich sein, erzählte und hörte gern Witze und war ungeheuer hilfsbereit gegenüber allen Freunden.“
Carola Stern: Willy Brandt, Reinbek 2002, S. 38

Fritz Bauer
„Er ist nicht nur sympathisch, sondern auch sehr tüchtig. (…) Er ist ein Mann, der in internationalen Kreisen leicht Freunde gewinnt und unter oft schwierigen Verhältnissen in Stockholm die 2. Internationale zu einigen verstand. (…) Er ist in der Emigration ein an den Westen, insbesondere Amerika assimilierter Journalist geworden.“
Schreiben von Fritz Bauer an Kurt Schumacher, 23. Mai 1946


1956–1961

Welt am Sonntag
„Er ist der geistige Sohn Ernst Reuters (…). Die Berliner fangen an, auf ihn zu hören. Seine Stimme gewinnt einen Klang, dem sich die Ohren und die Herzen der Insulaner öffnen. (…) In Berlin fand er den Meister und fand er die Heimat. Berlin braucht ihn heute, aber es darf ihn nicht fesseln.“
„Der Erbe Ernst Reuters“, in: Welt am Sonntag, 8. Januar 1956

Berliner Zeitung
„Trommelbube des kriegslüsternen amerikanischen Imperialismus und eifriger Gauleiter Adenauers im West-Berliner NATO-Reich. Sein Beruf: Spitzenagent anglo-amerikanischer Geheimdienste seit 1935… Er heißt übrigens Willy Brandt und zählt gegenwärtig 41 Lebensjahre, von denen mehr als 20 ausschließlich dem gewissenlosesten Verrat an der deutschen Arbeiterklasse gewidmet waren.“
Berliner Zeitung, 20. Januar 1956

Die Zeit
„Brandt ist unter allen Berliner Politikern der beste Bürgermeister-Kandidat. Seine Liberalität macht ihn auch den nichtsozialistischen Parteien genehm.“
„Kandidat für Reuters Stuhl“, in: Die Zeit, Nr. 38, 19. September 1957

Rheinische Post
„Brandt besitzt dieses schwer definierbare Fluidum. Er ist kein mitreißender Volksredner; dazu ist seine Stimme zu spröde, seine Sprache zu bedächtig, seine Gedankenführung nicht simpel genug. Aber er vermag in seinen – stets freien – Reden Freunde zu packen, Indifferente zu überzeugen und Gegner mit geschliffenem Florett aufzuspießen. Zudem sieht er gut aus und strahlt einen fast jungenhaften Charme aus.“
„Der Mann ohne s-t“, in: Rheinische Post, 5. Oktober 1957

Christ und Welt
„Das ist vielleicht Willy Brandts größte Stärke: seine menschliche Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit und seine mangelnde Begabung, verbissen zu sein. (…) Die Gegner der deutschen Sozialdemokratie haben allen Grund, diesen Typ des Sozialdemokraten von morgen genau zu studieren. Er wird ein schwieriger Widerpart sein, weil er welt- und wirklichkeitsoffen ist.“
„Willy Brandt / Sozialist von morgen“, in: Christ und Welt, 10. Oktober 1957

Memorandum der US-Regierung
„Unter den verschiedenen Kandidaten war Brandt nicht nur der am meisten einleuchtende, sondern auch der am besten geeignete für den Job [als Regierender Bürgermeister]. Man kann nicht einen neuen Reuter erwarten, aber mit ein bisschen Glück sollte Brandt stärkere Führung ausüben als seine zwei kränklichen Vorgänger, der langweilige Walther Schreiber und der schwankende Otto Suhr. Angesichts von Brandts Talent und Alter dürfen wir auch erwarten, dass er sich von Schreiber und Suhr in einem weiteren Punkt unterscheidet: Das Amt des Regierenden Bürgermeisters dürfte für ihn nicht der Höhepunkt seiner politischen Karriere sein, sondern eine weitere Sprosse auf der Leiter, die ihn – vorausgesetzt, dass er seine Position in der SPD verbessert – schließlich bis zur Kanzlerschaft bringen kann. (…) Was repräsentative Aufgaben angeht, die zu den wichtigsten Aspekten des Amtes gehören, kann man erwarten, dass Brandt Berlin mit Verstand und mit Würde, die Suhr unglücklicherweise oft fehlte, in der Welt vertreten wird. (…) Brandts Mut, physisch oder moralisch, steht außer Frage. Auch in schlechter Lage wird er einen kühlen Kopf bewahren. (…) Brandt ist auch ein außerordentlich bedächtiger Mann. Er ist selten impulsiv; jeder Schritt ist überlegt. Obwohl er viele begeisterte Unterstützer hat, ist er sehr der einsame Wolf. Er ist zweifellos sehr ehrgeizig. Aber er hat eine merkwürdige Zaghaftigkeit, die ihn in einem harten politischen Schlagabtausch eher verwundbar macht. (…) Politisch ist Brandts Position auf jeden Fall gefestigter als die von Suhr, da der arme Suhr keinen eigenen Parteiflügel und nur wenige Anhänger in der Öffentlichkeit hatte. (…) Vielleicht ist Brandts Wahl ein erster Schritt zur Wiederherstellung der Einheit der Partei, aber die völlige Wiederherstellung könnte lange dauern. Momentan ist es sicherer anzunehmen, dass Brandt eine Dreiparteien-Koalition anführen wird – aus Brandt-SPD, Neumann-SPD und CDU. (…) Mit Brandt zu verhandeln wird härter werden als mit Suhr. Nicht, weil er weniger freundlich zu uns wäre, sondern weil er in einer bequemeren Lage ist, eine beständigere Linie verfolgt und mehr Energie und Beharrlichkeit zeigt. (…) Vermutlich wird Brandt sich als Übermittler der Beschwerden der Berliner über ihre westlichen Verwandten begreifen oder sich dazu machen. Er wird bei seinen Forderungen wahrscheinlich nicht übertrieben gemäßigt auftreten. (…) In jedem Fall wird Brandt sich von Adenauer, den er offenkundig verabscheut, nicht einfach abspeisen lassen. (…) Brandt hat beträchtliche Ungeduld gezeigt mit dem, was er für die überholten Überreste des Besatzungsregimes hält, und man muss davon ausgehen, dass er sich stark dafür einsetzen wird, alliierte Kontrollrechte zu beschränken und vor allem Berlin enger mit der Bundesrepublik zu verbinden. (…) Wenn ihn seine neuen Aufgaben nicht gänzlich von seinen alten Ideen ablenken, dann können wir erwarten, dass er uns solange auf die Nerven geht, bis er bekommt, was er will. (…) Brandt steht zu seinem Wort und wir können gut mit ihm zusammenarbeiten, doch sein Pro-Amerikanismus gilt nicht uneingeschränkt. Zweifellos ist er westlich orientiert und antikommunistisch (oder, wie seine Partei gewöhnlich sagt, ,anti-stalinistisch‘). Aber er bleibt ein Sozialdemokrat mit einiger intellektueller Wirrheit, die seine Parteigenossen in Bezug auf die Außenpolitik und die Wiederbewaffnung gezeigt haben. (…) Er spricht die ganze deutsche Ungeduld mit der bestehenden Situation [der Teilung] an, wenn er unterstellt, dass die westliche Politik veraltet sei, dass ein neuer (aber von ihm nicht spezifizierter) Kurs verfolgt werden müsse, etc. Brandt scheint überzeugt, dass der Kommunismus reformfähig ist, und er scheint sowohl von Tito als auch von Gomulka sehr beeindruckt zu sein. (…) Kurzum: Brandt könnte, bei aller leidenschaftlichen Verurteilung des Kommunismus, die kommunistische Bedrohung unterschätzen.
„Election of Willy Brandt as Governing Mayor of Berlin“, in: Office Memorandum (Confidential), United States Government, 3. Oktober 1957

The Times
„Er hat das Gesicht eines aufmerksamen, nachdenklichen, aber entschlossenen Boxers. Er kann gut reden, mit Ruhe und ernster Betonung, und begegnet der Presse mit Direktheit und Charme, die Kritik entwaffnet. Er ist fotogen, was keine unwichtige Stärke im Fernsehzeitalter ist, und übt sehr große Anziehungskraft auf die so wichtigen weiblichen Wähler aus. Für die meisten Berliner scheint er jugendliche Vitalität, Mut und Aufrichtigkeit zu verkörpern. Er spricht ein fast perfektes Englisch.“
„Herr Brandt’s rapid rise as a German leader“, in: The Times (London), 9. Dezember 1958

Die Welt
„Seine Volkstümlichkeit ist groß, und er hat eine internationale Stellung wie wenige Sozialdemokraten, wie überhaupt wenige Leute in der Bundesrepublik gewonnen. (…) Schon flüstern manche, Willy Brandt sei der künftige Kanzlerkandidat der Sozialdemokratie.“
„Der Gegner als Freund“, in: Die Welt, 13. Dezember 1958

Der Tagesspiegel
„Noch nie hat sich die französische Massenpresse mit solchem Schwung auf einen deutschen Politiker geworfen wie auf Brandt. (…) Und die Franzosen finden, der Neue habe, was den deutschen Politikern sonst nicht gegeben sei: Charme.“
„Brandt, der Star der ersten Pariser Konferenztage“, in: Der Tagesspiegel, 16. Dezember 1958

Paris Journal
„Seine Intelligenz, seine Dynamik und sein Humor haben die Berliner und ganz Westdeutschland erobert. Das geht so weit, daß man ihn jetzt als einen ernsthaften Rivalen Bundeskanzler Adenauers betrachtet, dem er gelegentlich die Stirn zu bieten weiß.“
Zitiert nach Hannoversche Presse, 16. Dezember 1958

Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Die Register der Publicity beherrscht er meisterhaft. (…) Journalisten sind für ihn Kollegen geblieben. Er bittet sie mit gewinnendem Freimut um eine Zigarette, wenn ihm die eigenen ausgegangen sind. (…) Wenn man Brandt gegenübersitzt und mit ihm spricht, schaut man in angestrengt arbeitendes Gesicht mit energischem Kinn, intelligenten Augen und Fältchen, vom Sinn für Humor geprägt. (…) Seine politischen Ambitionen gönnen ihm nicht viel Zeit für Häuslichkeit. Eine erstaunliche Robustheit äußert sich auf dem Parkett zuweilen auch in witzigen, aber zuweilen arg scharf gewürzten Bemerkungen, die manchen Partner schwer schlucken machen. Auch zur Geselligkeit gehört für ihn die hartnäckige politische Diskussion.“
„Der junge Bürgermeister von Berlin“, in FAZ, 18. Dezember 1958

Basler Nachrichten
„Brandt ist ein kühler Rechner und wirkt zudem wie der kühne Held eines amerikanischen Abenteuerfilmes.“
„Willy Brandt, der neue deutsche Star“, in: Basler Nachrichten, 19. Dezember 1958

Deutsche Wochenschau
„Im strömenden Regen erwies man dem Mr. Berlin auf seiner Fahrt zum Rathaus mit der Konfetti-Parade eine Ehre, die nur ganz besonders populären Gästen zuteil wird. Die Bürger der größten Stadt der Welt demonstrierten auf ihre unverwechselbare Art ihre aufrichtige Sympathie. Für das Ehepaar Brandt war dieser Besuch zweifellos ein großer persönlicher Erfolg. Ein Erfolg, an dem Frau Rut Brandt einen guten Anteil hatte.“
Bericht der Deutschen Wochenschau über den Besuch Willy Brandts in New York am 10.  Februar 1959

Neues Deutschland
„Man kann es beim besten Willen nicht bestreiten, Willy Brandt nimmt seine Rolle als eifrigster Laufbursche Adenauers sehr ernst. (…) Nichts liebt er mehr als Beliebtheit bei den Schürern und Nutznießern der Verschärfung internationaler Spannungen, wobei er seinen Herrn und Meister Adenauer noch zu übertreffen sucht.“
„Unternehmen Dörrgemüse“, in: Neues Deutschland, 20. März 1959

Die Presse der Sowjetunion
„Nomen est omen; denn Herr Brandt führt sich wie ein Brandstifter auf. (…) Brandt, alias Frahm, gehörte zu denen, die im Spanischen Bürgerkrieg den Putsch im Hinterland der Republikaner organisierten. (…) Mit seiner Hilfe wurde Westberlin immer mehr amerikanisiert und mit Dollarkapital überschwemmt. (…) Herrscher von Dollarsgnaden – diese Worte könnten Brandts Visitenkarte zieren.“
Die Presse der Sowjetunion (Berlin-Ost), 29. März 1959

Time Magazine
„Wenn heute Brandt irgendwo vorübergeht, erklärt mancher westdeutsche Politiker voll Vertrauen: hier geht der künftige Bundeskanzler. Falls Willy je seinen Traum verwirklichen und die Sozialdemokratische Partei modernisieren kann, mögen sie recht behalten.“
Zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. Mai 1959

Konrad Adenauer
„Der Herr Brandt habe doch auf seinem eigentlichen Gebiete, nämlich in Berlin, bisher noch gar nichts geleistet. Reuter habe mehr geleistet, dessen Nachfolger auch, Brandt aber könne nur repräsentieren und Reden halten, aber ob er arbeiten könne, das habe er noch nicht gezeigt.“
Adenauer: „… um den Frieden zu gewinnen“. Die Protokolle des CDU-Bundesvorstands 1957-1961, Düsseldorf 1994, S. 710

Franz Josef Strauß
„Aber eines wird man doch noch fragen dürfen: Was haben Sie [Herr Brandt] in den zwölf Jahren draußen gemacht, wie man uns gefragt hat, was habt ihr in den zwölf Jahren drinnen gemacht.“
Aus der Rede von Bundesverteidigungsminister Strauß (CSU) in Vilshofen am 15. Februar 1961 (zitiert nach CSU-Correspondenz, 1. März 1961)

Konrad Adenauer
„Wenn einer mit der größten Rücksicht behandelt worden ist von seinen politischen Gegnern, dann ist das der Herr Brandt alias Frahm.“
Alias Frahm, in: Der Spiegel, Nr. 35, 23. August 1961, S. 18

Aktuell
„Man hat diesen Mann überfordert. Er hat kein Durchstehvermögen. Der Osten weiß über Brandt genau Bescheid. (…) Man könnte ihn erpressen. (…) Er ist imstande, auf jedem Empfang aufzufallen. Über ,Willy, den Schlechtangezogenenʻ, könnte man einen eigenen Bildband machen. (…) Die Wahlprospekte der SPD machen aus dem charmanten ,Bel amiʻ beinahe einen ,Super-Bürgerlichenʻ. (…) Der Name Willy Brandt wird in kurzer Zeit aus den Schlagzeilen verschwinden. Er wird vergessen werden.“
„Sein Weg nach Berlin“, in: Aktuell – Deutsches Wochenmagazin, Nr. 9, 9. September 1961, S. 20-47


1968-1975

Golo Mann
„Der beste Außenminister (…) seit es ein deutsches Auswärtiges Amt gibt.“
Der Historiker Golo Mann in einer Fernsehsendung mit Günter Grass, 21. Oktober 1968

Neues Deutschland
„Wenn Brandt aus der Geschichte überhaupt etwas gelernt hat, dann nur, wie er die westdeutsche Bevölkerung und die Weltöffentlichkeit noch geschickter und raffinierter als seine Vorgänger irreführen und betrügen kann.“
„Die feine Moral eines Ministers / Was Willy Brandt aus der Geschichte gelernt hat“, in: Neues Deutschland, 4. Dezember 1968

Kurt Georg Kiesinger
„Wenn der nur nicht so verdammt seriös geworden wäre.“
Zitiert nach „Signale nach links“, in: Der Spiegel, Nr. 38, 15. September 1969, S. 34-38

Deutsche National- und Soldatenzeitung
„Willy Brandt, der Mann mit dem roten Kompaß, war stets ein falscher Prophet. Er stand unzählige Male vor den Trümmern seiner, auf Illusionen aufgebauten politischen Ideenwelt, die er für ,realistischʻ gehalten hatte, und ebensooft ersetzte er die zerronnenen Wunschträume und in Rauch aufgegangenen Utopien durch neue. Seine Amtszeit als Bundesaußenminister war die bisher erfolgloseste der deutschen Nachkriegspolitik, auch wenn seine sozialistischen Freunde im In- und Ausland das Gegenteil behaupten. Ein solcher Mann darf nie und nimmer deutscher Bundeskanzler werden.“
„Darf dieser Mann Kanzler werden? Wir enthüllen BRANDTS Vergangenheit“, in: Deutsche National- und Soldatenzeitung, 29. August 1969

Süddeutsche Zeitung
„Denn wohl jeder fühlt sich wehrlos gegen Sympathiegefühle für diesen Willy Brandt, der es im Leben nie leicht gehabt hat, weil er sich das Leben schwer macht.“
Hans Ulrich Kempski: „Hier stehe ich und kann nicht anders“, in: SZ vom 16. September 1969

Der Abend
„Willy Brandt ist kein Dynamiker und Mann großer politischer Entwürfe. Er wird nicht wie Kennedy Ausgangspunkt neuer Ideen sein oder wie Adenauer seine Politik einer durch nichts zu erschütternden Zielvorstellung unterordnen. Brandt bedarf des Anstoßes, um aktiv zu werden. Dabei registriert er alle sich anbahnenden Entwicklungen. Er hat ein hervorragendes Gespür dafür, was in einer bestimmten Situation verwirklicht werden kann. (…) Brandt wird als Kanzler einen kollektiven Führungsstil pflegen. Er ist kein Mann der einsamen Entschlüsse. Er braucht das Gespräch, die Diskussion, um seine Meinung zu finden. Wird ein Thema beraten, kann keiner vorhersagen, welchen Standpunkt Brandt einnehmen wird. Hat er eine Auffassung gewonnen, hält er daran bis zur Starrköpfigkeit fest.“
„Der Außenseiter vor dem endgültigen Durchbruch?“, in: Der Abend, 21. Oktober 1969

The Times
„Er ist ein guter Europäer und ein guter Mann.“
„Ein guter Mann“, in: The Times (London), 22. Oktober 1969. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 16

Axel Springer
„Die Träume Willy Brandts von ‚veränderten Verhältnissen, von Kooperation statt Konfrontation sind genau das, nämlich Träume.“
„In Sorge grüßt Sie ihr Axel Springer“, in: Der Spiegel, Nr. 5, 26. Januar 1970, S. 52

Frankfurter Rundschau
„Das Maß an Respekt, das dem deutschen Bundeskanzler Willy Brandt in Frankreich entgegen gebracht wird, ist wohl nur mit dem zu vergleichen, das von deutschen Nachkriegspolitikern Konrad Adenauer genoß. (…) Der ,breitschultrigeʻ Kanzler mit den ,kräftigen Kinnbackenʻ steht synonym für ein ,selbstbewußtesʻ, ,erwachsen gewordenesʻ Deutschland, auch mit aller Skepsis wird es gesagt, für deutsche ,Dynamikʻ und ,Energieʻ.“
„Ein Kanzler ohne Komplexe“, in: Frankfurter Rundschau, 28. Januar 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 25

Die Welt
„Brandt betreibt Ostpolitik nicht nur dem Zwange gehorchend, sondern auch aus Passion. Die europäische Friedensordnung ist für ihn ein moralisches Postulat, eine Art Wiedergutmachung nach Osten hin.“
„Die 101 Tage des Kanzlers Willy Brandt“, in: Die Welt, 2. Februar 1970

Süddeutsche Zeitung
„Brandt macht sich ein Privileg daraus, den Ministern die Chance zu geben, sich vorteilhaft ins Licht zu rücken. Eine geschickte Übung. Sie nährt nämlich keineswegs den Verdacht, daß der Kanzler bei manchen Themen wenig sattelfest sei. Sie zwingt vielmehr den Eindruck herbei, daß sich hier ein Team präsentiert, dessen Chef sicher genug ist, auch andere neben sich gelten zu lassen.“
„Der Kanzler dämpft Triumphgefühle“, in: Süddeutsche Zeitung, 2. Februar 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 70

Le Figaro
„Willy Brandt, Kanzler, das ist das neue Bild eines von Komplexen befreiten Deutschlands, und man kann vorerst nur schwer die Bedeutung dieser stillen Revolution ermessen. (…) Brandt ist schon drei Monate nach seinem Amtsantritt der starke Mann Europas, und er hat noch nicht alle seine Karten ausgespielt.“
Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 26

Combat
„Mit 57 Jahren Treppen zu steigen wie ein junger Mann, moderne Anzüge zu tragen, die vom besten Schneider Berlins gearbeitet sind, ebenso fähig zu sein, im Mittelmeer zu schwimmen wie eine Nacht durchzuarbeiten, das läßt schon einen neuen Stil voraussagen.“
„Wie Willy Brandt Deutschland regiert“, in: Combat (Paris), 3. Februar 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 28

Berlingske Tidende
„Willy Brandt rechnen wir als einen der Unsrigen, und etwas Höheres kann man nicht erreichen, wenn es gilt, unsere Achtung und unseren Respekt zu erlangen. Kein deutscher Regierungschef hat ein so enges Verhältnis zum Norden gehabt wie Willy Brandt.“
„Der Freund aus Bonn“, in: Berlingske Tidende (Kopenhagen), 13. Februar 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 81

Aktuelt
„Er repräsentiert das Beste des modernen Deutschlands. Er ist die Personifizierung einer Haltung, die mit dem Fall der Weimarer Republik unterging, als sie sich noch im Entwicklungsstadium befand: eine echte demokratische Haltung.“
„Ein guter Deutscher“, in: Aktuelt (Kopenhagen), 14. Februar 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 82

Toronto Daily Star
„Willy Brandt hat nicht die Absicht, sich mit dem Lauf der Geschichte abzufinden. Er beabsichtigt sie vielmehr zu verändern.“
„Ein liebenswürdiger Deutscher, der die Geschichte verändern will“, in: Toronto Daily Star, 28. Februar 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 31

The Times
„Er hat stets den Eindruck eines Menschen vermittelt, der der Vernunft das Wort redet, mit Würde und Leidenschaft – eine Kombination, die man bei Politikern nicht unbedingt als üblich voraussetzen kann.“
„Herr Brandt in London“, in: The Times (London), 28. Februar 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 72

The Daily Telegraph
„Von dieser Seite des Kanals aus gesehen, hat es niemals einen besseren deutschen Kanzler gegeben als den, der uns diese Woche besucht. (…) Seine antinazistische Vergangenheit, sein tapferes Auftreten als Regierender Bürgermeister von West-Berlin in kritischen Jahren und seine beständige Würde haben ihm allgemeine Achtung verschafft.“
„Großbritanniens Freund aus Westdeutschland“, in: The Daily Telegraph (London), 2. März 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 73 f.

Morgenbladet
„In der internationalen Politik hat er mehr zu sagen, als je ein anderer deutscher Staatsmann nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches gehabt hat. In der Allianz zwischen den USA und West europa ist er die Nummer zwei nach Nixon. Aber seine starke Position beruht auch darauf, daß man volles Vertrauen zu seiner demokratischen Gesinnung und seiner persönlichen Integrität hat.“
„Brandts Aufgabe in Norwegen“, in: Morgenbladet (Oslo), 17. April 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 87

Look
„Tatsächlich ist Brandt vielleicht der attraktivste Kanzler, den Deutschland seit der Zeit gehabt hat, als Otto ,Blut und Eisenʻ von Bismarck vor neunundneunzig Jahren das Deutsche Reich errichtete und Adolf Hitler die kultivierten Deutschen eines Goethe in häßliche Ausrotter von Juden und Slawen verwandelte.“
„Holt die GIs nicht aus Europa heraus“, in: Look (New York), 21. April 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 98

Washington Post
„Brandt hat auch das sine qua non des heutigen Politikers gemeistert: das Fernsehen. Er erscheint dort nicht als geschickter Akteur, sondern als der gute Deutsche, der geradeheraus mit gesundem Menschenverstand zu seinen Landsleuten spricht.“
„Deutschlands Wirtschaftswunder hat ein politisches Gegenstück“, in: Washington Post, 29. April 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 35 f.

Le Monde
„Er hat während des Krieges nicht gezögert, gegen seine Landsleute, die von Hitlers Träumen geblendet waren, eine ausländische Uniform anzuziehen; er hat aber auch, als dies die Uniform des Siegers wurde, nicht gezögert, seinen Landsleuten zu einem Zeitpunkt zu dienen, als deren Schicksal außerordentlich schwer und dunkel erschien.“
„Die Entspannung und Europa“, in: Le Monde (Paris), 17. September 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 113

Le Soir
„Vor den Schwierigkeiten nicht zögernd, nimmt er die Probleme mit gleichmütiger Kühnheit und mit einer beruhigenden Kaltblütigkeit in Angriff, die den Eindruck vermittelt, daß er, wohl wissend, was er will, über die unmittelbaren Nebensächlichkeiten hinausgeht und ein großes Ziel verfolgt.“
„Willy Brandt und die Ost-West-Beziehungen“, in: Le Soir (Brüssel), 18. September 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 115

Washington Daily News
„Zu seiner Ehre muß gesagt werden, daß Brandt jegliche Romantik, nationalistische Gefühle und Rachegedanken beiseite läßt und sich darauf konzentriert, das Äußerste aus den realen Möglichkeiten Westdeutschlands herauszuholen.“
„Brandts historische Schritte“, in: Washington Daily News, 17. November 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 119

Il Messaggero
„In bezug auf die Bundesrepublik Deutschland des Jahres 1970 können wir sagen, daß – gemäß einem alten, geradezu machiavellistischen Grundsatz – ein neuer Mann an der Regierung auch ein neues Land machen kann.“
„Der neue Mann“, in: Il Messaggero (Rom), 23. November 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 89

Der Spiegel
„Wenn dieser nicht religiöse, für das Verbrechen nicht mitverantwortliche, damals nicht dabeigewesene Mann nun dennoch auf eigenes Betreiben seinen Weg durchs ehemalige Warschauer Getto nimmt und dort niederkniet – dann kniet er da also nicht um seinetwillen. Dann kniet er, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien – weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können. Dann bekennt er sich zu einer Schuld, an der er selber nicht zu tragen hat, und bittet um eine Vergebung, derer er selber nicht bedarf. Dann kniet er da für Deutschland.“
„Ein Stück Heimkehr. SPIEGEL-Reporter Hermann Schreiber mit Bundeskanzler Brandt in Warschau“, in: Der Spiegel, Nr. 51, 14. Dezember 1970, S. 29. Abgedruckt in: Alexander Behrens: „Durfte Brandt knien?“ Der Kniefall in Warschau und der deutsch-polnische Vertrag. Eine Dokumentation der Meinungen, Bonn 2010, S. 59

Stuttgarter Zeitung
„Bundeskanzler Brandt gestaltete diesen Gang aber zu einer historischen Szene, in der sich persönliche und staatsmännische Würde, Erinnerungen an eine blutige Niederschlagung des Aufstands im Warschauer Ghetto 1943 und die Bitte um Vergebung ineinander vereinigten. Langsam schritt er auf das jüdische Mahnmal zu und fiel auf die Knie…“
„Überraschende Geste Willy Brandts. Der 7. Dezember in Warschau. An der ‚Gedenkstätte des Ghettos‘ beugt der Kanzler die Knie“ von Reinhard Appel, in: Stuttgarter Zeitung, 8. Dezember 1970. Abgedruckt in: Behrens, „Durfte Brandt knien?“ Der Kniefall in Warschau und der deutsch-polnische Vertrag. Eine Dokumentation der Meinungen, Bonn 2010, S. 62

Rheinischer Merkur
„Brandt hat mit der Unterschrift am 7. Dezember den im Potsdamer Abkommen von den vier Siegermächten offengehaltenen Verhandlungsfrieden weggeschenkt, der unter Konvertierung der Rechtstitel zur europäischen Öffnung der Grenzen führen sollte.“
„Noch ein Ersatz-Frieden / Auch der Polenpakt braucht Zweidrittelmehrheit“ von P. W. Wenger, in: Rheinischer Merkur, 11. Dezember 1970. Abgedruckt in: Behrens, „Durfte Brandt knien?“ Der Kniefall in Warschau und der deutsch-polnische Vertrag. Eine Dokumentation der Meinungen, Bonn 2010, S. 96

Der Spiegel
„Hauptergebnis der SPIEGEL-Umfrage: Für angemessen halten das Verhalten Brandts am Getto-Ehrenmal 41 Prozent der Befragten, als übertrieben bezeichnen es 48 Prozent.“
„Kniefall angemessen oder übertrieben? SPIEGEL-Umfrage über Willy Brandts Totenehrung am Ehrenmal im früheren Warschauer Getto“, in: Der Spiegel, Nr. 51, 14. Dezember 1970, S. 27. Abgedruckt in: Behrens, „Durfte Brandt knien?“ Der Kniefall in Warschau und der deutsch-polnische Vertrag. Eine Dokumentation der Meinungen, Bonn 2010, S. 109

Südwestfunk
„Die Reserviertheit, die dem ersten Besuch eines Bonner Regierungschefs in Warschau entgegentreten mußte, ist vom Sonntagabend an mehr und mehr in respektvolle Achtung umgeschlagen. Die Polen setzen nunmehr auf Willy Brandt. Von ihm erwarten sie, daß er dem Vertrag vom 7. Dezember 1970 eine breite politische Mehrheit verschafft.“
Kommentar von Günter Paschner, in: Südwestfunk, 8. Dezember 1970. Abgedruckt in: „Durfte Brandt knien?“ Der Kniefall in Warschau und der deutsch-polnische Vertrag. Eine Dokumentation der Meinungen, Bonn 2010, S. 112

Słowo Powszechne
„Der Mut Polens zu Kriegszeiten und der Mut Polens von heute (…) trafen sich gestern mit dem Mut des früheren norwegischen Majors, der nicht an den Mythos des tausendjährigen Reiches glaubte, und mit dem Mut des Bundeskanzlers, der früher als die Mehrheit seiner Landsleute und mit großer Reife die Unabänderlichkeit des Urteils der Geschichte und, mehr noch, seine Gerechtigkeit im Lichte des den Polen von den Deutschen zugefügten Leids erkannt hatte.“
Dieter Bingen, Die Deutschland- und Ostpolitik Willy Brandts im Spiegel der polnischen Publizistik 1966-1974, in: BWBS, Willy-Brandt-Bild in Deutschland und Polen, Berlin 2000, S. 99

Le Monde
„Der Kanzler der Bundesrepublik, mit feuchten Augen, verlorenen Blickes, anscheinend allein mit der Erinnerung an die Greuel, auf den Knien auf dem feuchten Granitboden im Morgennebel vor dem Denkmal, das den Helden und den Opfern des Warschauer Ghettos gewidmet ist. Dieses Bild hat, als es auf den Fernsehschirmen erschien, vielen deutschen Zuschauern den Atem verschlagen, wie es – wenn man den Berichten der Pressekorrespondenten glaubt – die polnischen Zeugen dieser unerwarteten und außergewöhnlichen Geste tief berührt haben muß. (…) Nicht alle Deutschen schätzen in gleicher Weise die so wenig diplomatische Initiative des Kanzlers. (…) Es ist sogar gut möglich, daß das Bild des knienden Willy Brandt seinen unversöhnlichen Gegnern ein neues Argument für seinen ,Verratʻ liefern wird.“
„Auf den Knien im Morgennebel“, in: Le Monde (Paris), 9. Dezember 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 120

Die Zeit
„‚Ob die Bundesrepublik einen solchen Kanzler schon verdient?‘ flüsterte mir ein sonst sehr kühler polnischer Beobachter bewegt zu …“
Hansjakob Stehle: „Schlußpunkt unter die Vergangenheit“, in: Die Zeit, Nr. 50, 11. Dezember 1970, S. 1

The Observer
„Indem Herr Brandt die Initiative für eine Annäherung an Polen ergriff, bewies er Realismus in der Außenpolitik und ein hohes Maß an innenpolitischem Mut, eine kühne Entschlossenheit, die weit größer war als die Adenauers bei seinen Verhandlungen mit den Westmächten.“
„Brandts Mut“, in: The Observer (London), 13. Dezember 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 122

Time Magazine
„Indem er als erster westdeutscher Politiker bereit war, die vollen Konsequenzen der Niederlage im Zweiten Weltkrieg zu akzeptieren, formte der westdeutsche Kanzler Willy Brandt die Ereignisse, statt auf sie zu reagieren, und bot dem kommunistischen Europa eine Herausforderung, die von großer potentieller Bedeutung auch für den Rest der Welt ist. (…) Er hat die erregendste und hoffnungsreichste Vision für Europa entworfen, seit der Eiserne Vorhang fiel.“
„Mann des Jahres: Willy Brandt. Auf dem Weg zu einer neuen Realität“, in: Time Magazine (New York), 30. Dezember 1970. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 36

Bayern-Kurier
„In der Kunst, durch geschickte Formulierungen objektive Sachverhalte zu verschleiern, gilt Willy Brandt weithin als ein sehr begabter Mann. Ob es ihm allerdings gelungen ist, dem Publikum sein eigenes Leben frei von Widersprüchen über den wirklichen Ablauf der Ereignisse darzustellen, muß bezweifelt werden. (…) Brandts Selbstdarstellung ist sehr unvollständig und wirft Fragen über Fragen auf, die bisher unbeantwortet geblieben sind.“
„Auf und nieder, immer wieder“, in: Bayern-Kurier, 23. Januar 1971

Washington Post
„Noch nie in der Vergangenheit saß in Deutschland ein Mann von größerer Integrität und mit mehr Hingabe an die demokratische Praxis und die Ideale des Friedens im Sattel als Willy Brandt. Und es ist in hohem Maße fraglich, ob jemals in der Zukunft ein anderer Mann mit solchen Qualitäten Deutschland regieren wird.“
„Deutschland blickt nach Westen“, in: Washington Post, 15. Juni 1971. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 102 f.

The Guardian
„Brandt hat sein Land – und damit auch Westeuropa – über die längste Strecke des Weges zu einer zivilisierten Reglung der Verhältnisse auf dem Kontinent geführt. Selbst wenn die Verhandlungen über das bisher Erreichte nicht weiter gedeihen, wird ganz Europa Grund haben, Willy Brandt dankbar zu sein. Er hat von Großbritannien und Frankreich weniger Unterstützung erhalten, als er wohl hätte erwarten können; von den Vereinigten Staaten mehr, als er vielleicht erwartet; und seine politischen Gegner in Bonn haben ihm auch nicht die geringste Hilfe geleistet. Er allein hatte die Führung, und ihm allein gebührt das Verdienst.“
„Treffen zweier Europa“, in: The Guardian (London), 18. September 1971. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 125

La Libre Belgique
„Die Stellung, die der Kanzler durch sein persönliches Gewicht erobert hat, ist solcherart, daß man in gewisser Hinsicht sagen könnte, der wahre Nachfolger Charles de Gaulle auf dem internationales Schauplatz sei weniger George Pompidou als Willy Brandt.“
„Das emanzipierte Deutschland“, in: La Libre Belgique (Brüssel), 27. September 1971. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 127

Begründung des Nobelpreiskomitees
„Willy Brandt hat als Chef der westdeutschen Regierung und im Namen des deutschen Volkes die Hand zu einer Versöhnungspolitik zwischen alten Feindländern ausgestreckt. Er hat im Geiste des guten Willens einen hervorragenden Einsatz geleistet, um Voraussetzungen für den Frieden in Europa zu schaffen.“
Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 131

Süddeutsche Zeitung
„Nicht Pathos, nicht Utopien haben bei der Brandtschen Politik Pate gestanden; wohl aber politische Phantasie und nüchternes Kalkül im Dienste eines begrenzten, realistischen Ziels: Friedenspolitik als Präzisionsarbeit.“
„Ein überzeugender Friedenspreis“ von Hans Schuster, in: SZ, 21. Oktober 1971

The New York Times
„Als Bürgermeister, Außenminister und Kanzler hat Willy Brandt mehr als irgendein anderer Deutscher dafür getan, das Bild eines dem Neo-Nazismus zuneigenden und nach Revanche dürstenden Deutschlands auszulöschen.“
„Der Friedensnobelpreisträger“, in: The New York Times, 21. Oktober 1971. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 138

The Times
„In einer Welt, in der Staatsmänner ersten Ranges oder auch nur fähige Politiker nicht gerade häufig vertreten sind, ragt er als ein Mann hervor, der lobenswerte Ziele mit Energie und Intelligenz verfolgt hat. Er ist ein guter Deutscher, ein guter Europäer und – soweit man eine solche Persönlichkeit definieren kann – ein guter Weltbürger.“
„Der Preis für Willy Brandt“, in: The Times (London), 21. Oktober 1971. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 139

Le Monde
„Noch in hundert Jahren wird man sich jenseits des Rheins an diesen Regierungschef erinnern, den die Verbrechen eines anderen Kanzlers, den er unerschrocken bekämpft hat, auf die Knie gezwungen haben. Er macht es möglich, daß man wieder an ein Deutschland glaubt, das ebenso wahr ist wie das des Geschreies und der Fackeln, das Land der Dichter und Denker, die ,ferne Geliebteʻ, um die Heine im Exil weinte, das schwermütige Vaterland Hölderlins.“
„Der Büßer von Warschau“, in: Le Monde (Paris), 22. Oktober 1971. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 142

Le Peuple
„Weder Schauspieler noch Volkstribun, ein ausgezeichneter Organisator, der durch die Ausübung der Macht und während vieler Prüfungen als Regierender Bürgermeister von Berlin geprägt wurde.“
„Kämpfer für den Frieden“, in: Le Peuple (Brüssel), 22. Oktober 1971. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 43

Der Spiegel
„Der Emigrant, gestern noch Angriffspunkt nationalistischer Kampagnen, ist heute für viele Deutsche ein Gegenstand vaterländischen Stolzes.“
„Diesmal kein Ruheständler“, in: Der Spiegel, Nr. 44, 25. Oktober 1971, S. 30

Bruno Kreisky
„Seine Leistung [in der Exilzeit] war bemerkenswert. Er produzierte Papiere und Entwürfe mit einer Technik, wie wir sie später nur bei internationales Kongressen und Organisationen kennenlernten, und er tat es mit unglaublichem Fleiß und großer Einfühlungsgabe; (…) zu alledem kam eine faszinierende Gabe, sich die ,kommenden Dingeʻ vorzustellen zu können. (…) Kaum einer hat in der Welt draußen mehr für Berlin getan, hat Berlin so sehr zu einem Engramm im weltpolitischen Bewußtsein gemacht wie er.“
Auch für Deutschland, in: Die Zeit, 29. Oktober 1971. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 144 f.

Georg Picht
„Er ist weder ,eisernʻ noch ein Zyniker, noch sentimental, er verschmäht die Pose und hat einen Widerwillen gegen große Worte. Er wirft sich nicht in die Brust und spielt sich nicht auf. Deshalb besitzt er, was in Deutschland selten geworden ist: Würde.“
Dagobert Lindlau (Hrsg.): Gedanken über einen Politiker. Dieser Mann Brandt, München 1972, S. 11

Georg Meistermann
„Brandt ist der erste deutsche Staatsmann, der wie seit langem kein Vorgänger den Mut zu neuen Entwürfen hat.“
Dagobert Lindlau (Hrsg.): Gedanken über einen Politiker. Dieser Mann Brandt, München 1972, S. 89

Dorothee Sölle
„Herrschaft zu erlangen ist gar nicht das Ziel seines Redens. Herrschen – sich beherrschen, die Sprache beherrschen, andere beherrschen – ist gar nicht das Modell, an dem er baut. Darum enttäuscht er tatsächlich alle Führererwartungen.“
Dagobert Lindlau (Hrsg.): Gedanken über einen Politiker. Dieser Mann Brandt, München 1972, S. 132

Siegfried Lenz
„Wenn Willy Brandt spricht, scheint mir, wird eine ganz besondere Mühsal deutlich: die Mühsal eines Überzeugungsprozesses, bei dem man sich auf die Wörter verläßt. Wer dem Wort so viel zutraut, kann der Verletzlichkeit nicht entgehen. Nicht zuletzt deswegen aber achten wir sein Wort und glauben seiner Rede.“
Dagobert Lindlau (Hrsg.): Gedanken über einen Politiker. Dieser Mann Brandt, München 1972, S. 137

Die Zeit
„Wie von einer Welle der Begeisterung wird der Kanzler in den Plenarsaal getragen – eine Szene, wie sie dieses Parlament noch nie erlebt hat.“
Rolf Zundel: „Zehn Tage, die Bonn erschütterten“, in: Die Zeit, Nr. 18, 5. Mai 1972, S. 3

Olof Palme
„Politiker neigen dazu, zynisch zu werden. Willy Brandt jedoch hat seine menschliche Qualität bewahrt.“
„Ein Symbol des Vertrauens und der Versöhnung“, in: Vorwärts, 8. Juni 1972. Abgedruckt in: Was hält die Welt von Willy Brandt? Aussagen internationaler Publizisten des In- und Auslandes, Hamburg 1972, S. 52

Deutsche Nachrichten
„Über Rotspanien und Norwegen führte Frahm-Brandts Weg zurück nach Deutschland, um als Kanzler der Unterwerfung in Warschau auf den Knien Sühne für deutsche Schuld zu demonstrieren. Die tausendfache Schuld, die an Deutschen vor allem auch in Polen begangen wurde, nimmt er nicht zur Kenntnis.“
„Wer ist Willy Brandt?“, in: Deutsche Nachrichten, 27. Oktober 1972

Walter Scheel
„Einen so anständigen Bundeskanzler kriegt die Bundesrepublik nie wieder.“
Zitiert nach „Hier stehe ich, der Wähler helfe mir“, in: Der Spiegel, Nr. 47, 13. November 1972, S. 1-10

Der Spiegel
„Vielweiberei, Trunksucht, Krankheit und Mord sind Variationen einer Verleumdungslitanei, mit der die potentiellen Willy-Wähler auf dem flachen Lande und in katholischen Gemeinden verschreckt werden sollen. (…) Mit der Parole ,Willy Weinbrandʻ und einem benebelten Brandt-Kopf im Kognak-Glas als Aufkleber sucht die Junge Union den SPD-Kanzler als unfähigen Trunkenbold abzustempeln. (…) Brandt (…) gilt heute als standfester Charakter mit Grundsätzen, an dessen Lauterkeit nicht einmal seine Gegner zweifeln. (…) Nach nur dreijähriger Kanzlerschaft präsentiert sich der SPD-Vorsitzende als glaubwürdiger Regierungschef, der sich trotz aller Rückschläge zu einem sozialdemokratischen Landesvater aufbaute. (…) Erstaunt registrierten die Bundesbürger in den ersten Monaten nach dem Machtwechsel einen Kanzler von maskenhafter Starre, das Parlament einen Politiker von mimosenhafter Empfindlichkeit. (…) Nur ein souveräner Politiker konnte den Kniefall im ehemaligen Warschauer Getto riskieren.“
„Hier stehe ich, der Wähler helfe mir“, in: Der Spiegel, Nr. 47, 13. November 1972, S. 1-10

Die Zeit
„Da stehen die Wähler Kopf an Kopf, oft zu zehntausenden, und wenn der Bundeskanzler erscheint, wird das Meer der Menschen von einer Grundwelle der Begeisterung ergriffen, Transparente werden geschwenkt, Arme jubelnd hochgerissen, Kinder emporgehalten, Sprechchöre ,Willy, Willyʻ branden auf – die Menge ist bereit sich von der Stimmung forttragen zu lassen. (…) Der Kanzler ist heute eine Symbolfigur für die Bundesrepublik geworden, wie es einst Konrad Adenauer war.“
„Brandt: locker in die letzte Runde“, in: Die Zeit, Nr. 46, 17. November 1972

Deutsche National- und Soldatenzeitung
„Tatsache ist, daß Brandt mit einer in gewisser Weise genialen Vertragspolitik territorial gesehen beinahe tausend Jahre deutscher Geschichte dem Machtanspruch des Sowjetimperialismus opferte und so den Sinn des Todes von Abermillionen für die deutsche Sache Gefallenen in Frage stellt.“
„Das Geheimnis um Brandts Abstammung / Wir brechen das Tabu“, in: Deutsche National- und Soldatenzeitung, 12. Januar 1973

Konkret
„Willy Brandt ist nicht mehr auf Neues aus. Er hat schon alles erreicht. (…) Jetzt, da der Kampf um die notwendige Veränderung der Gesellschaft begonnen hat, ist Willy weg vom Fenster.“
„Kanzler ohne Kurs“, in: Konkret, 20. September 1973

Franz Josef Strauß
„Willy Brandt hat es immer mit unbestreitbarem Geschick verstanden, Leerformeln mit phantasieanregender Kraft von sich zu geben, auch von dem Zeitpunkt an bis heute, wo er mehr und mehr die Rolle eines tönenden Denkmals regiegemäß zu spielen hat. (…) Der Prophet der neuen linken Mitte, der Heilige unserer Tage, das von vielen gedankenlos angebetete und bewunderte Idol für Frieden, Freiheit und Menschlichkeit … Brandt, der mit einem stark überzogenen Moralitätsanspruch angetreten war, läßt einen beispiellosen Verfall der politischen Moral zu.“
„Die Maske fällt / Brandt – Anpassung an den Radikalismus“, in: Bayern-Kurier, 22.  September 1973

Herbert Wehner
„Der Kanzler badet gern lau – so in einem Schaumbad.“
Zitiert nach „Was der Regierung fehlt, ist ein Kopf“, in: Der Spiegel, Nr. 41, 8. Oktober 1973, S. 1-8

Wibke Bruhns
„Menschen sind für ihn eigentlich nur in der Mehrzahl ansprechbar. Sein Engagement ,für die Menschen schlechthinʻ geht Hand in Hand mit der Schwierigkeit, zu einzelnen eine wirkliche Beziehung aufzunehmen, vor allem sie durchzuhalten. (…) Er gestattet niemandem einen Anspruch an sich, jedem einen an seiner Sache. Am fröhlichsten ist er in Gesellschaft von mehreren. Er hat viele Freunde. Ob er einen Freund hat, ist nicht bekannt. Brandts Toleranz und Geduld mit seiner Umgebung bezieht er nicht zuletzt aus diesem Abstand. Man kommt nicht an ihn heran. (…) Braucht er wirklich Rat, beschäftigt ihn ein Problem, das er allein nicht in den Griff bekommt, stellt er verschiedenen Leuten Fragen. Hier mal eine, eine andere dort. Für den Angesprochenen gibt das keinen Sinn. Willy Brandt aber sammelt Mosaiksteine.“
„Sie schlagen und … sie brauchen sich“, in: Stern, 25. Oktober 1973

Harry Ristock
„Gottvater auf der Wolke.“
Zitiert nach „Willy Brandt 60: Das Monument bröckelt“, in: Der Spiegel, Nr. 50, 10. Dezember 1973, S. 1-12

Der Spiegel
„Im fünften Kanzler-Jahr ist Willy Brandt an die Grenzen seiner Führungskraft geraten. (…) In der Regierung läßt der Kanzler nach dem Geschmack vieler Genossen der FDP zuviel Freiheit, und der Gedanke an seinen Sturz ist nicht mehr tabu. (…) Der Mann, dessen konkrete Visionen von einem ausbalancierten Gleichgewicht in Europa der sozialliberalen Koalition die allseits anerkannte Ostpolitik eingebracht hat, hält es nicht mit der Innenpolitik. (…) Die Kritik an Willy Brandt ist nicht mehr zu überhören. Der Ruf nach Änderung wird lauter. (…) Der große Wahlsieg der SPD, zu einem wesentlichen Teil persönlicher Verdienst Brandts, machte den Kanzler unangreifbar. (…) Der Sozialdemokrat hat einer nach größeren individuellen Freiheiten verlangenden und auf mehr Solidarität angewiesenen Gesellschaft das Gefühl gegeben, sie sei mehr als nur auf Wohlstand und Sicherheit fixierter Verein nach Adenauer-, Erhard- oder Kiesinger-Art. Er befreite die Bundesrepublik aus 20 Jahren blindem Antikommunismus. Er säte bei den westdeutschen Arbeitnehmern den Zweifel am absoluten Leistungszwang und schärfte ihr Bewußtsein für eigene Interessen. Er schuf Raum für Toleranz gegenüber Minderheiten und Unterprivilegierten. (…) Längst nicht mehr ist ,Willyʻ der unkonventionelle Genosse und Kumpel, der er noch als Außenminister war – kontaktfreudig und trinkfest. Der Hausherr des Palais Schaumburg gibt sich würdevoll, hält auf Distanz zu Mitarbeitern und Parteifreunden. Auch der alte Kampfgefährte Walter Hesselbach von der Gewerkschafts-Bank für Gemeinwirtschaft spürt: ,Es ist in ihn eingedrungen, daß er ein Staatsmann ist.ʻ (…) Zu dem konservativen Wesensbild des späten, des sechzigjährigen Brandt passen ungewohnte Überreaktionen.“
„Willy Brandt 60: Das Monument bröckelt“, in: Der Spiegel, Nr. 50, 10. Dezember 1973, S. 1-12

Rudolf Augstein
„Seinen 60. Geburtstag erlebt Willy Brandt in einem Tief der über ihn veröffentlichten und der befragten Meinung, die sich unter dem Wimpel ‚Führungsschwäche‘ zusammenbraut.“
„Der führungsschwache Kanzler“, in: Der Spiegel, Nr. 50, 10. Dezember 1973, S. 32

Herbert Wehner
„Die Qualitäten, die der Erste Mann der SPD in allen vorangegangenen Perioden bewiesen hat, berechtigen zu der Hoffnung, er wird auch diese Periode meistern.“
„Der Erste Mann der SPD / Willy Brandt und seine Partei“, in: Vorwärts, 13. Dezember 1973

Süddeutsche Zeitung
„Niemand weiß genau, ob seine Attitüde des Über-den-Wolken-Schwebens Selbstüberschätzung ist oder der Einsicht entspringt, er könne sich auch auf Drängen nicht für Dinge, die ihm fremd sind, interessieren, sie gar entscheiden.“
„Das schwache Jahr nach dem Sieg“, in: SZ, 15. Dezember 1973

Helmut Schmidt
„Das, was Willy Brandt bis zu seinem sechzigsten Geburtstage schon bewirkt hat, wird die zukünftige Geschichte unseres Landes prägend beeinflussen – ebenso wie die zukünftige Entwicklung der Sozialdemokratie. Brandt ist deswegen nicht der Überheblichkeit verfallen; das Gerede von der Pflege seines Denkmals betrifft andere. Es ist auch nicht Abstand zu seinen Gefährten und Entrücktheit des in das wichtigste Staatsamt Aufgestiegenen, die ihn zu manchem lange schweigen lassen – und für einige bisweilen zu lange. Die Kollegen im Kabinett und die Genossen in der Parteiführung wissen, daß sein Schweigen zunächst nur dem Willen zum Zuhören entspringt. Sein Zögern besagt, daß eine Sache noch nicht zur Entscheidung herangereift ist. Seine Duldsamkeit entspringt vor allem der Bereitschaft, mit Konflikten zu leben, weil sie weder durch ein Machtwort noch durch einen Kraftakt gelöst werden können.“
„Ein Geburtstagswunsch für Willy Brandt“, in: Der Spiegel, Nr. 51, 17. Dezember 1973, S.  41–45

Oriana Fallaci
„Wenn man versucht, seine Seele zu durchstöbern, zieht er sich höflich zurück und schweigt. Ich versuchte es immer wieder, vergeblich. Er öffnete sich, sobald ich den Politiker befragte, er verschloß sich, als ich den Menschen suchte.“
Zitiert nach „Den Zugang zu sich selbst bewacht der Kanzler streng“, in: Süddeutsche Zeitung, 18.  Dezember 1973

Süddeutsche Zeitung
„Sich beherrschen – sich kontrollieren – damit fertig werden: ein auffälliges Instrumentarium, das Willy Brandt immer wieder vorzeigt, das er benutzt, damit das ,Oberbewußtseinʻ nicht die Herrschaft über ihn gewinnt. Vielleicht erklärt dieser andauernde, empfindsame und anstrengende Prozeß auch, warum der Bundeskanzler eigentlich immer eine Spur zu institutionell wirkt, zu distanziert, was auf der anderen Seite ihn befähigt, integrierend wirken zu können. (…) Willy Brandt, der nun Sechzigjährige, macht es sich und anderen nicht leicht – seine spröde Eigenwilligkeit wird noch manchen ein Ärgernis sein – und im Wege.“
„Den Zugang zu sich selbst bewacht der Kanzler streng“, in: SZ, 18. Dezember 1973

Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Willy Brandt ist gelegentlich, ob seiner Ausstrahlung und seines Charmes, der so viel zum Wahlerfolg der Sozialdemokratie beigetragen hat, als ein ,deutsches Gegenstück zu Kennedyʻ gekennzeichnet worden. Von diesem Glanz ist manches abgeblättert. (…) Willy Brandt ist sehr deutsch, nicht mit dem sonoren Klang, den das Wort in früheren romantisierend-nationalistischen Zeiten hatte und der ihm immer noch leicht anhängt, sondern im Sinne einer Wirklichkeit mit allen ihren Licht- und Schattenseiten. Das ist eine politisch-psychologische Tatsache.“
„Willy Brandt, der Deutsche“, in: FAZ, 18. Dezember 1973

Süddeutsche Zeitung
„Einig sind sich alle darin, daß Willy Brandt aus seinem Stimmungstief, dessen offensichtlicher Beginn mit der Kanzler-Demontage durch Herbert Wehner im vergangenen Herbst zusammenfiel, nur noch selten herauskommt. (…) Nicht Brandts psychologisches Tief ist die Ursache für eine allenthalben in Bonn anzutreffende Resignation, sondern die Wechselwirkung von Strukturmängeln auf Stimmungslagen und umgekehrt. Die SPD ist unsicher, weil sie in Brandt nicht mehr die sichere Führung, den Erfolg, vermutet. Der Parteivorsitzende versteht nicht, daß er für das Parteivolk und auch für Teile der Führungsgarnitur nicht mehr tabu ist.“
„Der resignierte Bundeskanzler“, in: SZ, 19. Februar 1974

Neue Zürcher Zeitung
„Willy Brandt ist der zu seinem eigenen Nachteil am meisten überschätzte Politik Europas.“
Zitiert nach „Aus den Wolken in den Griff der Genossen“, in: Die Welt, 21. Februar 1974

Die Zeit
„Willy Brandt und Gustav Heinemann haben mehr getan für einen Abbau der hierzulande schon naturgesetzhaft erscheinenden Feindschaft zwischen ‚Intelligenz‘ und ‚Politik‘ als irgendwelche deutschen Staatsmänner vor ihnen.“
Dieter E. Zimmer: „Ein Kapitel Geist und Macht. Mit dem Abtreten von Brandt und Heinemann geht ein Versuch zunächst zu Ende“, in: Die Zeit, Nr. 21, 17. Mai 1974, S. 13

Franz Josef Strauß
„Ich bestreite ihm nicht gewisse Fähigkeiten – die der einschmeichelnden Rede; die Fähigkeit, primitive Formulierungen durch die Art der sprachlichen Darbietung als große Weisheiten zu verkaufen. (…) Der ganze Chor der Hofschranzen und Bewunderer um ihn herum hat ja auch immer zur rechten Zeit die Hand an den Mund gelegt: ‚Pst, er denkt.‘ Frühzeitig haben sie ihm ein Denkmal errichtet, und am liebsten hätten sie zur Umwelt gesagt: Schuhe ausziehen, heiliger Boden, eine Gedenkminute des Schweigens, auf Zehenspitzen zurücktreten, sich noch einmal verneigen, dem Schicksal danken für die Größe eines solchen Staatsmannes, der dem deutschen Volk geschenkt worden ist, und so weiter.“
Zitiert nach Wolfram Bickerich: Franz Josef Strauß. Die Biographie, Düsseldorf 1996, S. 122

Bayern-Kurier
„Auf zwei Leitern versucht Brandt, wieder zum Lichte, zur Macht empor zu klettern. Als Parteivorsitzender turnt er auf dem hölzernen Gerüst der Diffamierung und Verleumdung des politischen Gegners – der Unionsparteien im allgemeinen, des CSU-Vorsitzenden Strauß im besonderen. (…) ‚Holzer‘ im Inland – ‚Nebenkanzler‘ im Ausland: Je ferner, je lieber sucht er sich zur Geltung zu bringen. Er weilt zur Selbstbestätigung viel in der Fremde, wo man in ihm immer noch den Friedens-Nobelpreisträger und den ‚Friedenskanzler‘, nicht aber den Versager sieht, der politisch Schiffbruch erlitten hat.“
„Brandt wieder an die Macht?“, in: Bayern-Kurier, 12. April 1975

Der Spiegel
„Der Mann, der vor einem Jahr noch als passé galt, ist wieder wer. Er hat sich aus seiner Guillaume-Depression aufgerappelt und arbeitet an seinem Comeback. (…) Er versteht sich als Vormann der europäischen Sozialdemokratie, als Politiker, der auf einen sozialdemokratisch regierten Kontinent hinsteuert.“
„Auch hier heißen Sie Willy“, in: Der Spiegel, Nr. 29, 14. Juli 1975, S. 17–24

Welt am Sonntag
„Ficht ihn denn gar nichts an? Erhebt er sich über Berge eigenen Versagens als seien es die Niederungen der Fehlbarkeit anderer? Willy Brandt hat schon manches Rätsel aufgegeben und selbst keines gelöst. Allmählich wird er unenträtselbar. Das Geheimnis seines immer wiederkehrenden Erfolgs – trotz der Trümmer seiner Reformvorhaben, der Havarie seiner Ost-Politik und der Erkrankung seiner Partei – scheint seine Verwandlungsfähigkeit zu sein. Sie trägt ihn wolkenweit, auch wieder nach dem Fall. Und er steigt und steigt und steigt. Aber doch wohl mehr wie ein Ikarus, als wie ein Phönix.“
„Ein Mann will zurück ins Rampenlicht“, in: Welt am Sonntag, 28. September 1975


1981-1990

Die Zeit
„In der Welt hat der frühere Bundeskanzler nichts von seinem Ansehen eingebüßt. Sein Name hat sich vielen Menschen rund um den Erdball als Symbol für ein anderes Deutschland eingeprägt wie der keines anderen. Ganz anders war es zu Hause, wo die Popularitätskurven kaum tiefer hätten sinken können. Brandt hat die Gemüter polarisiert wie Strauß. Zum Feindbild wurde er den einen, den anderen zu angenehmen, aber blasser werdenden Erinnerung an die Aufbruchsjahre der Koalition. Sein äußeres Erscheinungsbild – vom Scheitel bis zur Sohle – sorgfältig neu gestaltet – illustriert den Wandel Willy Brandts. (…) Er zeigt sich kampfeslustig wie selten. (…) Heute scheint er sich unabhängiger, freier zu fühlen. Einerseits mischt er sich wie selten zuvor in Parteiwirrungen ein; andererseits betrachtet er sie auch mit mit einer Mischung aus Abgeklärtheit und Ironie. (…) Keinem anderen vom Thron gestürzten Politiker in der Nachkriegspolitik ist es gelungen, eine Figur der deutschen Politik zu bleiben. Nur er hat dies geschafft. Darin spiegelt sich eine spezifische Autorität.“
„Willy Brandt in einer neuen Rolle“, in: Die Zeit, Nr. 27, 26. Juni 1981

Henry Kissinger
„Brandts historische Leistung bestand darin, einen Weg gefunden zu haben, wie man mit der Teilung Deutschlands leben konnte, was seine Vorgänger in Bonn während der gesamten Nachkriegszeit abgelehnt hatten. (…) Brandts warmherzige, verständnisvolle Persönlichkeit war wie geschaffen für seine symbolische Rolle als Wandler und Neuerer der deutschen Nachkriegspolitik. (…) Jedoch: Nachdem Brandt seine schicksalhafte Mission erfüllt und mit den Stereotypen gebrochen hatte, besaß er weder die Kraft noch die intellektuelle Kapazität, um mit den Kräften fertig zu werden, die er freigesetzt hatte. (…) Er war ein Paradoxon: Er hatte den Lauf der Geschichte geändert, war dadurch aber zugleich unbedeutend (und in gewisser Weise) gefährlich geworden. Fortan strebte er nur noch nach dem Triumph, den Durchbruch auf seine Art zu schaffen – und das war nur durch immer gewagtere, immer riskantere Rechtfertigungen einer Version von Ost-West-Politik zu erreichen, die Nationalismus und den Verzicht auf jegliche Konfrontation vereinte.“
„Ein Gefangener seiner eigenen Mission“, in: Der Spiegel, Nr. 8, 22. Februar 1982, S. 180 f.

Die Welt
„Der SPD-Vorsitzende Willy Brandt ist auf der Suche nach neuen Ufern für seine Partei.“
„Schon in München setzte Brandt die Zeichen“, in: Die Welt, 9. Juni 1982

Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Lebensläufe sind manchmal Kreisläufe des Lebens. Nun ist Willy Brandt wieder angekommen, wo er als Jüngling politisch zu Hause war. (…) Er ist so friedensbewegt, wie er einst jugendbewegt war. (…) Brandt versuchte, die SPD an die Spitze der Friedensbewegung zu setzen, aber nicht indem er ihr die Argumente Schmidts vortrug, sondern indem er wieder einmal aus Feuer und Wasser einen eigenen Kosmos mischte, nein zum ,Teufelszeugʻ, aber ja zur Nato und Bundeswehr sagte. (…) Aber das Nein zur Nachrüstung war wenigstens die Wiederherstellung der Ehrlichkeit seiner Politik.“
„Vom Eilmarsch zur Flucht“, in: FAZ, 23. Oktober 1983

Stern
„Mit sicherem Gespür für den Anbruch neuer Zeiten ist Willy Brandt ein knappes Jahrzehnt nach seinem Kanzlersturz dabei, zum zweitenmal zur Vaterfigur einer unruhigen Jugend zu werden. (…) Dieser Mann Willy Brandt. Besser müßte es heißen: Diese Männer Willy Brandt, so viele Schichten hat er. Vertrackt für Außenstehende, manchmal sogar für die Mitarbeiter im Bonner SPD-Haus, die Tages- oder Stundenform des Vorsitzenden richtig einzuschätzen, wenn er wie unter einer Glasglocke dahergeht, den Blick auf ein imaginäres Fernziel gerichtet. Was tut er da in seiner Glocke? Zieht eine seiner resignativen oder gar depressiven Phasen herauf? Oder ist er nur müde? Genervt? (…) Mit ihm zu streiten ist unsinnig, er kennt schon alles. Und wenn der Nachwuchs an den Zügeln zerrt und dem großen Vorsitzenden Kompromißbereitschaft vorwirft, daß er gerissen taktiert und nicht mehr gegen jede Wand rennt, dann hebt Brandt auf roboterhafte Weise die Arme aus den Schulterscharnieren seitlich hoch, wie ein Kranich die Flügel: Mein Gott, jaa … Was soll’s. (…) In Bonn geht das Wort um vom ,neuen Willy Brandtʻ. Sichtbar ist er mit 70 schlanker, straffer, besser angezogen, als er’s mit 60 war. Ein frischer alter Herr mit schön definierter Körpersprache (…). Seine Finger fummeln wie immer, wenn er lange keine Zigarette mehr geschnorrt hat. (…) Natürlich hat er Schwächen. Unangenehmes läßt der Introvertierte, aus Scheu vor Einzelkonfrontation, lieber über dritte an den Adressaten bringen. Seine Menschenkenntnis ist auch nicht beeindruckend. (…) Im Kreise seiner Mitarbeiter ist er nicht bossy, er kann zuhören, auf Ja-Sager verzichten, fordern: ,Sagen Sie mir nicht, was dafür, sondern was dagegen spricht!ʻ Doch auf Distanz hält er schon. Den ,Willyʻ gibt’s nur noch beim Wahlvolk. In der Parteizentrale pflegt er das Hamburger Du, also Vornamen und Sie. Er selbst wird mit ,Herr Brandtʻ angeredet. (…) Es ist das Verdienst Willy Brandts, den Anspruch, unkonventionell und fortschrittlich zu denken, nicht den Grünen überlassen zu haben. Mit seinem Gespür für den Anbruch einer neuen Zeit hat er die Partei nach links von der Mitte geöffnet, das Feuer wie schon einmal, Mitte der sechziger Jahre, entzündet. Aber das Konzept? Wo ist das richtungweisende Konzept der SPD? (…) Als Parteivorsitzender – er ist es schon seit 1964 – ist Willy Brandt im Augenblick der einzige, der frei von Abhängigkeiten und Tageszwängen, durch seine Integrationskraft verhindern kann, daß aufgeschlossene junge Leute an Bürgerinitiativen oder die Grünen verlorengehen. (…) Eben dieser Mann Brandt, der vom ,Denkmalʻ zur historischen Figur geworden ist.“
„Mit 70 nach vorn“, in: Stern, Nr. 50, 8. Dezember 1983, S. 64–72

Die Welt
„Heute spricht alle Welt vom Comeback des Siebzigjährigen, als sei er ein Boxer, der vernichtend geschlagen wurde und nun zur allgemeinen Überraschung wieder fit im Ring steht. (…) Nun schon seit Jahr und Tag stellen alle fest, was sich doch immer deutlicher schon seit der Wahl von 1980 andeutete: Brandt hat geschafft, was er sich damals vornahm, nämlich er wolle Wehner und Schmidt politisch überleben. Brandt als Sieger auf dem jüngsten SPD-Parteitag, gestrafft, entspannt, die wiederum umjubelte Integrationsfigur der SPD, endlich frei von dem harten Antreiber Wehner, befreit auch von dem so gescheiten und realistischen Schmidt. (…) Strategie und Taktik einschließlich Suche nach einer neuen Mehrheit links von der CDU bestimmt jetzt Brandt – zum erstenmal. Das ist das Erfolgserlebnis des Siebzigjährigen. Wer ist dieser Brandt? Die Frage ist nie verstummt. Ist er ein Staatsmann, ein Polit-Bohemien, ein Politik-Romantiker? Wahrscheinlich ist er ein wenig von allem zur gleichen Zeit. Das Sowohl-als-auch hat ihn nicht nur in seiner Politik fast immer begleitet. Da ist der Redner, in seiner Technik gewiß ein wenig maniriert, aber trotz allem für sein Publikum ein mitreißender Redner.“
„Willy Brandt – mit 70 auf dem Kurs zur Romantik seiner Jugend“, in: Die Welt, 17.  Dezember 1983

Frankfurter Allgemeine Zeitung
„Es gibt viele Brandt-Bilder, aber was ist das richtige? (…) Brandt hat die Farben einer Romanfigur. (…) Nicht nur zur Parteifreundschaft ist Brandt vermutlich noch weniger fähig als andere Politiker. Diese Ich-Sucht und -Suche, die ,Egomanieʻ (Brandt über Brandt) gilt auch für sein privates Leben, sein Verhältnis zu Frauen. (…) Die Spannung seines Lebens äußert sich darin, daß der Name Willy Brandt eben nicht nur der journalistische Künstlername, eine Kunstfigur seines norwegischen Journalisten-Exils war, sondern die Begründung einer eigenen, einer anderen Existenz als die des Herbert Frahm, der er in Lübeck war.“
„Als sei er überall auf der Durchreise“, in: FAZ, 17. Dezember 1983

Süddeutsche Zeitung
„Willy Brandt besitzt längst gesamtpolitische Statur. Er ist ein Erfahrener, ,ein Gewachsenerʻ, ein weitsichtiger und nicht nur eigensüchtiger Politiker, der historisch und über Grenzen hinaus zu denken gelernt hat, dazu altersweise, aber nicht mehr über den Wolken schwebend, wie es damals schien, als Brandt Bundeskanzler war und nobelpreisgekrönter Weltpolitiker wurde, in Bonn. Politiker seiner Natur, seiner Fähigkeit, in Zusammenhängen denken zu können, sind selten geworden (…). Wieder, immer noch, stehen ihm alle Türen auf. Sein ost-westliches Ansehen ist auch das des antifaschistischen Deutschen – der nach seiner Wahl zum Bundeskanzler 1969 mit selbstbewußtem Optimismus gesagt hatte, jetzt habe Hitler den Zweiten Weltkrieg erst richtig verloren. (…) Brandt war und ist deutlich ein ,internationalistischʻ gesinnter und geprägter Mann, internationalistisch als Sozialist, gewiß aber auch in seiner weltbürgerlichen, kosmopolitischen Prägung (…). Willy Brandt fühlt selbst und weiß genau, daß er niemals ,fertigʻ sein wird, daß er sich nach einem Leben, das zwei oder drei andere auszufüllen reichen würde, immer noch nicht auf den bequemeren Sessel des elder statesman niederlassen kann, um sich etwa der Genugtuung hinzugeben, der eigentliche Politiker nach Adenauer gewesen zu sein.“
„Willy Brandt 70“, in: SZ, 17. Dezember 1983

Der Tagesspiegel
„Bundeskanzler war er nur ein halbes Jahrzehnt. Doch diese fünf Jahre lang prägte er die Politik der Bundesrepublik wie nur Konrad Adenauer vor ihm. (…) Eine Vision hatte ihm Ausstrahlung gegeben: das deutsche Volk durch Anerkennung der Kriegsergebnisse mit sich selbst und der Welt auszusöhnen und einem globalen Entspannungsprozeß einzugliedern. Schon bald aber deutete sich an, daß eine aus Verzicht und Vertrauen zusammengesetzte Ostpolitik den sowjetischen Machthabern keine Großmut aufzwingen kann. (…) Viel Scherben also, wo unter Brandt Hoffnungen errichtet wurden. Das gilt fast noch mehr für die inneren Reformen (…). Trotz allem steht Willy Brandt heute unangefochtener denn je an der Spitze der SPD. Sein Mythos nach außen ist weiterhin verblaßt, doch seine Integrationskraft nach innen ungebrochen (…). Ob der nach gesundheitlichem Tief erstaunlich erholt wirkende ,Parteipatriarchʻ noch einmal den Weg zu neuen Ufern findet, ist ebenso ungewiß wie seine Nachfolge. Es scheint, daß er keinen adäquaten Erben hinterläßt, wie auch Konrad Adenauer keinen kongenialen Nachfolger hatte.“
„Der Mythos ist verblaßt, die Integrationskraft geblieben“, in: Der Tagesspiegel, 18.  Dezember 1983

Brigitte Seebacher
„Er hat zu Hause ein Nest, hier kann er total abschalten – zum Beispiel, wenn wir zusammen kochen. Willy sucht das Rezept aus und macht sich als Hilfskoch nützlich. In einer großen Schürze putzt er Gemüse, das er oft selbst geerntet hat – auf dem Balkon unserer 130-Quadratmeter-Wohnung in Unkel. (…) Um den Abwasch macht Willy allerdings einen großen Bogen. Er sieht zwar ein, daß sich die Männer da ändern müssen. Aber er denkt wohl: warum soll gerade ich damit anfangen. Immerhin trägt er den Mülleimer runter. (…) Die Finanzen überläßt mein Mann ganz mir. Nie hat er einen Pfennig in der Tasche; ich muß ihm Geld geben, wenn er zum Friseur will.“
„Brigitte Brandt: So ist Willy als Ehemann“, in: Bild, 24. Juni 1985

Der Spiegel
„Der Vorsitzende Willy Brandt hat die Partei nicht mehr im Griff. (…) Der Mann, dessen Neigung zu leichtem Kompromiß und schneller Flucht ins politische Sowohl-Als-auch fester Bestandteil der Biographie ist. (…) Hätte es eines Beweises bedurft für den zunehmenden Mangel an Führungsinstinkt und Führungsfähigkeit in der Chefetage der Sozialdemokratie, der Fall Mathiopoulos lieferte ihn handgreiflich. (…) Mit der Attitüde des alternden Patrons, der wichtige Sachen schleifen läßt, den Kleinkram dagegen zur eigenen Sache macht. (…) Die Entrücktheit des 73jährigen entpuppte sich mehr und mehr als Realitätsferne; er leidet an Basisschwund. Die vermeintliche Weisheit des gewieften Profis weicht einem Alterszynismus, den seine Partei nicht mehr länger hinnehmen will. Was gut für Brandt ist, ist nicht mehr länger gut für die SPD.“
„Am Herzen der Partei vorbei“, in: Der Spiegel, Nr. 13, 23. März 1987, S. 22-30

Hans-Dietrich Genscher
„[E]in Mann, der sein Leben lang gekämpft hat – auf seine Art. Standhaft, entschieden bis zur Kompromißlosigkeit, wenn es um Fragen ging, die ihm bedeutsam erschienen, aber auch gewährend lassend, wenn er die Zeit nicht für reif hielt oder die Sache nicht für wichtig genug – zu Recht oder zu Unrecht. (…) Häme und Bosheit, die Willy Brandt persönlich und politisch galten, haben ihn unnahbarer gemacht und im Laufe der Zeit auch unverletzbarer: Zynisch und menschenverachtend ist er deshalb nicht geworden. (…) Letztlich war die Brandt-Scheelsche Ostpolitik die Vollendung der Adenauerschen Westpolitik. Adenauer und Brandt haben den außenpolitischen Handlungsraum unserer Republik erweitert und abgesteckt. (…) Unvergessen ist der Besuch Willy Brandts in Warschau. Es gibt nur wenige Ereignisse, die die Gefühle so aufgewühlt haben. (…) Willy Brandt ist aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht hinwegzudenken. Sie wäre ohne ihn ärmer, und sie wäre wohl auch anders verlaufen. Das aber heißt: Willy Brandt hat Geschichte gemacht.“
Hans-Dietrich Genscher: Willy Brandt – man darf gespannt sein, in: Der Spiegel, Nr. 25, 15. Juni 1987, S. 28 f.

Franz Josef Strauß
„Willy Brandt hatte natürlich eine bestimmte Ausstrahlung und übte auf viele Menschen große Faszination aus. Er war der Mann der Visionen und Utopien, der Prophet, der Seher, der den Eindruck zu erwecken wußte, daß er die Ufer der Zukunft erblickte. (…) In der Person Willy Brandts schienen brennpunktartig alle ungestillten Wünsche, alle Sehnsüchte, alle psychischen Bedürfnisse zusammenzulaufen. Brandt wurde, ähnlich wie Kennedy, das Idol vieler Bürger, das Pilgerziel aller Beladenen und Belasteten.“
Franz-Josef Strauß: Die Erinnerungen, Berlin 1989, S. 448 und S. 538

Der Spiegel
„Wohlgefallen gewinnt Willy während seiner Auslandsreisen; da ist er noch wer; und er genießt es: in Spanien Ovationen beim Parteitag der Sozialisten, in Frankreich Beifallsstürme auf einer Künstlerveranstaltung für die Wiederkandidatur François Mitterrands. (…) Und weil es so schön war in Moskau und auch anderswo, will Willy Brandt, 74, daß es auch so schön bleibt: Er findet die vielen Auslandsreisen als SI-Chef prima. Ein Brandt-Helfer: ,Wenn seine Gesundheit es zuläßt, macht Willy die Internationale noch eine ganze Weile.ʻ“
„Schwere Jahre“, in: Der Spiegel, Nr. 15, 11. April 1988, S. 23 f.

Die Welt
„Willy Brandt hat sich selbst gebrandmarkt, als er das Wiedervereinigungsgebot (…) zum ,Mißverständnisʻ und zur ,Lebenslügeʻ stempelte. Denn er selbst hatte vor drei Jahrzehnten nachdrücklicher als jeder andere die verfassungsrechtliche Verpflichtung der politischen Organe der Bundesrepublik bejaht, ,die Wiedervereinigung mit allen Kräften anzustrebenʻ.“
„Brandt, eine Lebenslüge und die Wiedervereinigung“, in: Die Welt, 16. September 1988

Richard von Weizsäcker
„Ihnen ist in der Politik etwas ganz Seltenes gelungen: In Ihrer Person haben Sie die Spannung zwischen Macht und Moral aufgehoben.“
Ansprache des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker aus Anlass der Feier des 75.  Geburtstags von Willy Brandt in der Villa Hammerschmidt in Bonn, 20. Januar 1989

The New York Times
„Willy Brandt, der 1961 als Bürgermeister von West-Berlin verzweifelt den Bau der Mauer beobachtete, mit der die Stadt zweigeteilt wurde, zeigt noch mehr Freude als andere westdeutsche Spitzenpolitiker über die Ereignisse, die die Mauer überflüssig gemacht haben.“
“Clamor in the East: The Ex-Mayor is elated; Brandt hails the German people for a display of ‘human unity‘”, in: The New York Times, 14. November 1989

The New York Times
„Während örtliche Sozialdemokraten sprachen, demonstrierte die Mehrheit derjenigen, die zu Zehntausenden die Marktplätze in beiden Städten [in Plauen und Zwickau] füllten und ,Willy, Willy!ʻ riefen, dass sie nicht gekommen waren, um sozialdemokratische Wahlkämpfer zu hören, sondern einen anerkannten Anführer Gesamtdeutschlands. Herr Brandt wurde heute zum Ehrenvorsitzenden der ostdeutschen Sozialdemokraten gewählt.“
“Upheaval in the East; Brandt is hailed in East Germany”, in: The New York Times, 25. Februar 1990


2. Nachrufe und Rückblicke 1992–2010

Jürgen Leinemann
„Der Politiker, der sich traute, den Bürgern des eigenen Landes die Rechnung des verlorenen Krieges vorzulegen; der Kanzler, der sein Land aus der eisigen Erstarrung des Kalten Krieges löste und behutsam auf Entspannungskurs manövrierte, ohne die feste Bindung an den Westen aufzugeben. (…) So ungeniert und unverklemmt, daß es Jüngere gruselte, benutzte er – ziemlich unbeeindruckt von Zeitläuften und eigenen Ämtern – Begriffe wie ,nationales Selbstbewußtseinʻ, ,Volkʻ, ,Vaterlandʻ und ,Normalitätʻ. (…) Das Eindeutige ist ja nie seine Sache gewesen, immer waren Denken und Reden des grübelnden, tastenden Norddeutschen voller Brüche, Ambivalenzen und Widersprüche. Aber gerade, daß in jeder Aussage die Anstrengung der Selbstvergewisserung noch mitschwang, machte Willy Brandt glaubwürdig. (…) Wer Willy Brandt – als Regierenden Bürgermeister von Berlin, als Bonner Außenminister, als Kanzler, als Vorsitzenden der Sozialistischen Internationale oder der Nord-Süd-Kommission – auf internationalem Parkett erlebte, der begegnete einem Weltbürger. (…) Aufmerksam beobachtete der Redner die nationalen Empfindlichkeiten seiner Partner, tippte Erinnerungen an, rückte die eigene Herkunft nie in den Vordergrund. Aber niemand konnte auch nur einen Augenblick darüber im Zweifel sein, daß Willy Brandt ein Deutscher war und sein wollte. (…) Denn der linke Patriot Willy Brandt, der andere Deutsche, das war ein Leben, kein System und kein Programm. Es war darüber hinaus ein exemplarisches Beispiel für den hierzulande besonders selten gelungenen Versuch, Geist und Macht zu versöhnen. (…) Für ihn waren Kunst und Kultur, Bildung und Lebensqualität immer unabgespaltene Teile der Politik. Ostpolitik, Arbeiterbewegung, Antifaschismus, Bismarck – das alles gehörte zu Willy Brandt. (…) Jahrzehntelang hat er die Maxime von den kleinen Schritten nicht nur gepredigt, sondern auch verwirklicht – in Kriegs- und Friedenszeiten. So wurde er ,ein Deutscherʻ, wie sein Freund Bruno Kreisky bei einer ihrer letzten Begegnungen sagte, ,vor dem die Welt sich nicht fürchtete und nicht fürchten mußteʻ.“
Ein grübelnder Patriot, in: Der Spiegel, Nr. 42, 12. Oktober 1992, S. 16-26

The New York Times
„Der sozialdemokratische Führer hat noch erlebt, wie sich Ost- und Westdeutschland vereinigten und der Eiserne Vorhang niedergerissen wurde. Seine Amtszeit als westdeutscher Bundeskanzler von 1969 bis 1974 war ein Wendepunkt in der Geschichte des deutschen Volkes, und er selbst war ein Versöhner sowohl in der Innen- wie in der Außenpolitik einer gespaltenen Nation. (…) Er wurde zum Symbol eines Deutschland des Friedens, der Toleranz und der Bescheidenheit – Tugenden, die im Bild von den Deutschen ausradiert worden waren während Hitlers katastrophaler Herrschaft. (…) Seine größten Erfolge entstanden 1970. Unterstützt durch eine sehr dünne parlamentarische Mehrheit, schleuste er Westdeutschland durch mühsame Verhandlungen, die schließlich zu normalen Beziehungen mit der Sowjetunion, Polen und der DDR sowie zur Entspannung in Mitteleuropa führten. (…) Seit dem Zweiten Weltkrieg war Brandt angetrieben von der Überzeugung, dass Deutschlands einzig wahre Zukunft in einem vereinten Europa liege, und dieser Gedankengang formte die Struktur der Ostpolitik. Brandt hatte den Wandel angekündigt, als er bei seiner Amtsübernahme im Oktober 1969 erklärte: ,Ich werde nicht der Kanzler eines besiegten, sondern eines befreiten Deutschland sein!ʻ Hinter dieser Erklärung stand auch Brandts Entschlossenheit, zwei Jahrzehnte der Feindseligkeit zwischen West- und Ostdeutschland zu beenden. Das war die nationale Komponente der Ostpolitik. (…) Sein ganzes Leben lang hatte Brandt enorme Widerstände zu überwinden: Er war nichtehelich geboren, lebte während der Nazizeit als politischer Exilant in Norwegen, bis er 1948 nach Deutschland zurückkehrte. (…) In einer Bußgeste, die weltweit zur Kenntnis genommen wurde, kniete er in Warschau vor dem Mahnmal für die jüdischen Opfer der Nazi-Barbarei. (…) Nach dem Fall der Berliner Mauer wurde Brandt von großen Menschenmengen in Ostdeutschland willkommen geheißen, die in ihm den westdeutschen Staatsmann sahen, der nie aufgehört hatte, sich für ihr Schicksal während all der Jahre der Unfreiheit einzusetzen.“
“Willy Brandt dead at 78; forged West Germany’s reconciliation with the East”, in: The New York Times, 9. Oktober 1992.

The New York Times
„Die Last einer schrecklichen Vergangenheit anerkennend, fiel Herr Brandt vor dem Mahnmal für die jüdischen Opfer der Nazi-Barbarei wortlos auf die Knie. Der große Sozialdemokrat stand nie größer da. (…) Willy Brandt war ein großherziger und leidenschaftlicher Mensch. Er hat mitgeholfen, eine neue Republik aufzubauen, und hat einer Nachkriegsgeneration Grund gegeben, über das Deutschsein Stolz zu empfinden.“
“Topics of the times; the passionate statesman”, in: The New York Times, 11 Oktober 1992

Felipe Gonzalez
„Du bist immer, es ist wahr, ein Mann mit festen Überzeugungen gewesen, aber immer aufgeschlossen für neue Ideen, phantasievolle Überlegungen und für neue Horizonte, auch wenn sie unerreichbar schienen. Nur die Resignation kann uns besiegen, sagtest Du, nie die Schwierigkeit. Leb wohl, Freund Willy.“
Ansprache beim Staatsakt für Willy Brandt im Reichstagsgebäude zu Berlin, 17. Oktober 1992, in: Abschied. Dank an Willy Brandt, Marburg 1992, S. 78

Helmut Kohl
„Willy Brandt sah es als seine Aufgabe an, Brücken zu bauen: Brücken über Stacheldraht und Mauer hinweg, Brücken zu unseren östlichen Nachbarn und – vor allem in seinen letzten Lebensjahrzehnten – Brücken zwischen Nord und Süd. Er verstand sich immer als Deutscher, als Europäer und als Weltbürger zugleich.“
Ansprache beim Staatsakt im Reichstag zu Berlin, 17. Oktober 1992.

Horst Ehmke
„Neben seinen moralischen Grundüberzeugungen brachte Willy Brandt eine umfassende außenpolitische Erfahrung in seine Kanzlerschaft ein, die er im Exil, vor allem in der europäischen Großfamilie der Sozialdemokratie, als Regierender Bürgermeister von Berlin und als Bundesaußenminister erworben hatte. (…) Durch eine lebenslange Lektüre, die er selbst in den arbeitsreichen Jahren als Bundeskanzler fortführte, war Brandt außerdem historisch-politisch erstaunlich belesen. Das floß in seine außenpolitischen Überlegungen ein. Aber nicht nur seine Lebens- und Leseerfahrung, auch sein Naturell kam der Außenpolitik entgegen. Willy Brandt war ein Angler, kein Jäger, er ließ die Dinge – und die Menschen – kommen. (…) Willy Brandts Charme lag in seiner Fähigkeit zum Zuhören, die andere Menschen zum Sprechen brachte, und in seiner Art, Menschen für seine Sache zu gewinnen, indem er sie von sich überzeugte.“
Horst Ehmke: Mittendrin. Von der Großen Koalition zur Deutschen Einheit, Berlin 1994, S.  125 f. und 193

Michail Gorbatschow
„Zu diesem großartigen Menschen, einem der größten Politiker unserer Zeit, entwickelte sich mit der Zeit ein freundschaftliches Verhältnis. Immer öfter vertieften wir uns im Gespräch in die Probleme der Zukunft der Menschheit, der Wege des Fortschritts, der Rolle der linken Kräfte und des Inhalts der sozialistischen Idee unter den neuen Bedingungen.“
Michail Gorbatschow: Erinnerungen, Berlin 1995, S. 1000

Gerhard Schröder
„In der Tat machte einen Großteil seiner Faszination die Offenheit gegenüber neuen Denk- und Politikansätzen aus, die er fruchtbar machte für die programmatische Entwicklung der SPD und für ihre Selbstdarstellung in der damals entstehenden Mediengesellschaft. Mit Brandt setzte sich in der Bundesrepublik ein neuer politischer Stil durch, der sich auch dadurch auszeichnete, dass er stets bereit war, sich mit anderen politischen Vorstellungen auseinander zu setzen.“
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) bei der Vorstellung der Bände 2 und 4 der Berliner Ausgabe im Rathaus Schöneberg, 19.  September 2000

Rainer Barzel
„Mit fast jugendlichem Elan und unbeirrbar entschlossen übernahm der sonst eher behutsam-zögerliche Willy Brandt die Führung. Noch in der Wahlnacht [196.] nahm er das Steuer in die Hand! Die ihn damals erlebten, berichten, er habe sie ‚mitgerissen‘. (…) Emotionen erfüllten das Bundeshaus, Visionen und hohe Erwartungen viele Gazetten. Diese Woge, die vor allem Brandt selbst erzeugt hatte, wußte er zu nutzen: Er ritt, wenn das Bild erlaubt ist, auf seiner eigenen Welle.“
Rainer Barzel: Ein gewagtes Leben. Erinnerungen, Stuttgart 2001, S. 265

Johannes Rau
„Für eine friedlichere Welt zu streiten, für eine gerechtere Welt zu streiten, dafür war ihm kein Weg zu lang, und dafür hat er auch Umwege in Kauf genommen. (…) Der Zuspruch und die Begeisterung, die galten dem Aufbruch, für den seine Politik stand. Verehrt wurde aber auch er selber, Willy Brandt als Person, – und das gewiss auch, weil dieser Mann, der Friedensnobelpreisträger, ein Mensch war, erkennbar mit Schwächen und Widersprüchen. (…) Nicht, dass die Menschen Willy Brandt wegen seiner Schwächen wegen verehrt hätten – aber sie erkannten, dass er menschlich geblieben war – und dem schenkten sie Vertrauen. (…) Wie kaum jemand, dem ich begegnet bin, hatte er die Gabe, Menschen für sich zu gewinnen: Mit Herzlichkeit und großem Charme (…), mit Witz und mit seinem Talent zu erzählen. Vor allem: mit einer großen Fähigkeit zur Selbstironie. Manche verbinden mit Willy Brandt Melancholie, Traurigkeit. Das ist gewiss nicht falsch. Weit mehr war sein Leben aber geprägt von der inneren Fröhlichkeit, die er ausstrahlte.“
Rede des Bundespräsidenten Johannes Rau zum 10. Todestag von Willy Brandt, 8. Oktober 2002

Brigitte Seebacher
„W.B. war kein Fanatiker der Wahrheit und auch insoweit kein Moralist. Zwischen Notwendigkeit und Legitimität unterschied er nicht unbedingt. Er wusste um die Bedingtheit alles Menschlichen und um die Fragwürdigkeit alles Großen. (…) W.B. war kein Typ, der den Teufel an die Wand malte oder Fragen aufwarf, bevor die Zeit reif war, sie aufzuwerfen. Er konzentrierte sich aufs Nächstliegende, Machbare. (…) Vor allem ist es diese seltene Mischung von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit, von Nähe und Ferne, Gemeinschaftsgeist und Für-sich-bleiben-Wollen, die sein Charisma ausmacht. Es zieht an und stößt ab. Und lässt kaum einen gleichgültig.“
Brigitte Seebacher: Willy Brandt, München 2004, S. 15, 73 und 141 f.

Lars Brandt
„Persönliche Kontakte forderten ihm etwas ab, was aufzubringen schwerfiel. (…) In Menschenansammlungen fühlte er sich besser aufgehoben als bei einzelnen, wenn nicht Funktionen und Zuordnungen klar definiert waren. Gruppen machten ihn weniger nervös. (…) Hätte man diesen Menschen von seinen Widersprüchen befreien wollen, wäre wenig von ihm übriggeblieben.“
Lars Brandt: Andenken, München 2006, S. 16 und 21

Helmut Kohl
„Bei allen Auseinandersetzungen in der Politik war Brandt im persönlichen Umgang ein Mann von einer ungemein freundlichen und zuvorkommenden Art. (…) Willy Brandts politisches Wirken war geprägt von den Erfahrungen mit zwei totalitären Diktaturen auf deutschem Boden. Diese Erfahrungen waren für ihn Verpflichtung, seine Kraft in den Dienst von Frieden und Freiheit zu stellen. In diesem Geiste war Willy Brandt stets deutscher Patriot, Europäer und Weltbürger zugleich. (…) Willy Brandt hatte nicht nur in seinen Staatsämtern Politik und politische Kultur in Deutschland mitgestaltet. Sein Wort hatte über Parteigrenzen hinaus Gewicht. Mit seiner Lebenserfahrung und seiner Weisheit trug er viel zur Versöhnung der Deutschen mit ihrer Geschichte bei.“
Helmut Kohl: Erinnerungen. 1990–1994, München 2007, S. 484 und 488 f.

Klaus Schütz
„Unter den Berliner Nachkriegspolitikern gibt es wohl nur zwei Männer, die auch heute noch ganz fest in der öffentlichen Erinnerung verankert sind: Ernst Reuter und Willy Brandt. (…) Zu ihrer Zeit und hier in Berlin waren sie – jeder für sich – einzig und unersetzlich!“
Klaus Schütz: Berlin bleibt frei – Gedanken zu Willy Brandt. Vortrag anlässlich des Festaktes zum 50. Jahrestag der Wahl Willy Brandts zum Regierenden Bürgermeister von Berlin am 4. Oktober 2007 im Rathaus Schöneberg, Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung (Hg.), Berlin 2008 (Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, H. 15), S. 23 f.

Egon Bahr
„Es haben immer mal wieder Leute zu Willy Brandt gesagt: Du musst doch den einen oder anderen mal so richtig in den Hintern treten! Aber Willy war viel zu empfindsam, um so etwas zu machen. Er wollte überzeugen, nicht befehlen.“
Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung (Hg.): Die Erinnerung an Willy Brandt und ein Rückblick auf die gemeinsame Zeit. Gespräch zwischen Helmut Schmidt und Egon Bahr am 25.  September 2008 im Willy-Brandt-Haus Lübeck, Berlin 2009 (Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, H. 17), S. 46

Mohammed ElBaradei
„Willy Brandt zählte zu den politischen Giganten des 20. Jahrhunderts.“
ElBaradei, Mohammed: Der Weg in eine sichere Welt. Willy Brandt Lecture 2009 an der Humboldt-Universität zu Berlin; Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung (Hg.), Berlin 2010 (Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung; H. 22), S. 20

Süddeutsche Zeitung
„Brandt regierte 1970 erst im zweiten Jahr, aber der Kniefall von Warschau war vielleicht die größte Stunde seiner Kanzlerschaft. Er symbolisierte, dass ein neues Deutschland entstanden war, das sich zur eigenen Geschichte und Schuld bekannte, das den Nachbarn die Hand reichte.“
„Kniefall für Deutschland“, in: SZ, 4./5. Dezember 2010

Der Tagesspiegel
„Es war eine ganz spontane Geste, mit der Willy Brandt vor 40 Jahren Weltgeschichte schrieb: Sein Kniefall vor dem Ghetto-Mahnmal in Warschau prägt bis heute den Blick Osteuropas auf die neue Bundesrepublik. Da gab es auf einmal ein Deutschland, das in den Ländern im Osten nicht mehr nur Untertanen und Feinde sah, sondern Partner.“
„Ostpolitik 3.0“, in: Der Tagesspiegel, 7. Dezember 2010

Walter Scheel
„Ich bin mir ganz sicher – ich will sagen, wirklich sicher –, dass Willy Brandt den Kniefall nicht geplant hat. (…) Willy Brandt war einfach von der Situation überwältigt. (…) Brandt hatte vor allem durch seine Wortwahl die Gabe, Menschen anzusprechen. Sein Wesen und seine Worte trafen die Emotionen der Menschen. Ich habe das bei keinem anderen Menschen so erlebt. Er war nicht berechenbar, aber manchmal waren seine Handlungen derart ergreifend und überzeugend, dass ich nur staunen konnte. In Warschau war es nicht sein Wort, sondern eben der Kniefall. Ich fand es eine sehr passende und symbolische Handlung. Deutschland konnte auf seinen Kanzler stolz sein.
„Deutschland konnte stolz sein auf Willy Brandt“, in: Welt-online, 7. Dezember 2010

Bronislaw Komorowski
„Der Kniefall Brandts zeigte, dass es auch andere Deutsche – nicht nur Revanchisten und Revisionisten – gab.“
Zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. Dezember 2010

Götz Aly
„Willy Brandts Kniefall vor dem Warschauer Ghetto-Denkmal gilt uns Heutigen als bewegender und dankenswerter Akt. Am 7. Dezember 1970 hatte ein antifaschistischer Emigrant die Last der deutschen Verbrechen auf sich genommen, ein Mann, den noch unzählige Parteigänger und Politiker der CDU/CSU als Vaterlandsverräter und zu dem – oh Gott! – als unehelich Geborenen schmähten. (…) Brandt kannte das dumpfe Volksempfinden. Folglich sprach er in Deutschland selten und wolkig über die Vergangenheit. Wäre er deutlicher geworden, hätte er seine politischen Chancen verloren. Auch das veranlasste ihn in Warschau zu stummer, ausdrucksstarker Demut. Als er 1971 den Friedensnobelpreis erhielt, spendete er den größten Teil des Preisgelds für die Renovierung der Synagoge in Venedig und verfügte, dass dies erst nach seinem Tode bekanntwerden dürfe.“
„Umgeben von Verächtern“, in: Frankfurter Rundschau, 13. Dezember 2010


3. Würdigungen zum 100. Geburtstag

Erhard Eppler
„In den Sitzungen des Parteivorstands, auch im Präsidium, im Kabinett hat Willy Brandt nicht zu Beginn verkündet, wo es lang geht und dann erwartet, dass man ihm zustimmt. Er hat geduldig zugehört, wie die Zuständigen einführten, wie Ökonomen und Ökologen, Rechte und Linke ihre Argumente vorbrachten. Allenfalls hat er durch eine knappe Zwischenfrage angedeutet, was ihm wichtig war. Am Schluss hat er dann zusammengefasst. Und diese Zusammenfassung war meist nicht weit entfernt von dem, was er selbst dachte und womit eine große linke Volkspartei leben konnte. Willy Brandt hatte in seiner Partei durchaus Autorität. Aber er hat diese Autorität nur zögernd, nur selten voll eingesetzt. Er hat sie als Kleingeld ausgegeben, nicht die Hundertmarkscheine auf den Tisch geknallt. Wenn er aber dann einmal sagte: ,So nicht, das kann ich nicht!ʻ, dann hat ein betretener Vorstand neu nachgedacht. Das war eine sehr kluge, sehr demokratische, sehr menschliche und durchaus wirksame Form der Führung, die immerhin ein Vierteljahrhundert funktioniert hat.“
Willy Brandt – Stimmen zum 100. Geburtstag. Reden und Beiträge im Erinnerungsjahr 2013 (Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, H. 27), S. 12 f.

Joachim Gauck, Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland
„So soll Willy Brandt uns noch heute prägen und ermutigen: mit seiner Haltung zu seinem Land, über das er weiter hinausblickte als die allermeisten, das er liebte mit all seinen Schwächen und zugleich verbessern wollte, und zwar durch praktische Politik, die sich im Alltag bewähren sollte, um das Leben der Menschen besser zu machen. Willy Brandt hatte Träume. Aber er gab nicht vor, das Ziel der Politik ein für allemal zu kennen. Er sah das Offene, das Unfertige. Manchmal, so meinte er, gebe es keine Lösung. Doch handlungsfähig sind wir nicht erst dann, wenn wir das Ende einer Entwicklung benennen können. Wir sind es bereits, wenn wir darum ringen, das zu verändern, was in unserer Macht und unseren Möglichkeiten liegt, auch wenn es sich nur um das etwas Bessere handelt. Immer warb er dafür, dass sich heute für Veränderungen einsetzen muss, wer morgen besser leben will.“
Willy Brandt – Stimmen zum 100. Geburtstag. Reden und Beiträge im Erinnerungsjahr 2013 (Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, H. 27), S. 23

Heinz Fischer, Bundespräsident der Republik Österreich
„Willy Brandt war einer der großen europäischen Staatsmänner des 20. Jahrhunderts. Ein Mensch mit vielen Facetten und Talenten, der bei allen, die ihn näher kennenlernen durften, einen tiefen und bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Willy Brandt war ein Mensch mit Emotionen; und er weckte Emotionen. Er war außergewöhnlich und herausragend. Er war ein Humanist und Internationalist, der die Menschen gern hatte und von vielen Menschen Vertrauen und Zuneigung zurückbekam. Er war – wie Bruno Kreisky, ein Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer zitierend einmal gesagt hat – kein ausgeklügelt Buch, sondern ein Mensch in seinem Widerspruch. Willy Brandt hat kaum jemanden kalt gelassen. Er hatte gute Freunde, begeisterte Anhänger und erbitterte Gegner. Aber die Geschichte hat zu seinen Gunsten entschieden. Heute weiß man in Deutschland und weit über seine Grenzen hinaus, dass Willy Brandt ein Glück für Deutschland und für Europa war.“
Willy Brandt – Stimmen zum 100. Geburtstag. Reden und Beiträge im Erinnerungsjahr 2013 (Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, H. 27), S. 25

Björn Engholm
„Was letztlich seine Faszination ausmachte? Willy Brandt war ein Hoffender. Vielleicht sollte man sagen: ein Visionär, dem die Welt ebenso wenig fremd, wie er zu verändern sie unbeirrt gewillt war. Er vermochte uns eine Zukunft zu beschreiben, in der alle Menschen, gleich welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher Herkunft, welcher Glaubensüberzeugung, zwar nicht paradiesisch, aber doch mit Anstand solidarisch miteinander verbunden sein können. Eine Welt, in der die Würde keines Menschen missachtet wird, in der alle Zugang zu Bildung und zum kulturellen Erbe der Geschichte haben, in der Krieg, Hass, Gewalt, Ausbeutung geächtet sind, in der Staaten Regeln setzen, jedoch ohne zu bevormunden und privates Engagement und Kreativität zu verhindern, in der Politik gestaltet, aber nicht bloß Herrschaft unter sich verwaltet.“
Willy Brandt – Stimmen zum 100. Geburtstag. Reden und Beiträge im Erinnerungsjahr 2013 (Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, H. 27), S. 48 f.

Peter Brandt
„Er verkörperte, ohne zu schauspielern, ein breites Repertoire von Merkmalen, die nicht allen, aber vielen Mitmenschen Anhaltspunkte boten. Sein politisches Credo eines ,Sowohl-als-auchʻ hätte zugleich als Beschreibung für seine Persönlichkeit dienen können. Das große ,Undʻ machte ihn zum idealen Repräsentanten einer breit gefächerten Sozialdemokratie in einer bestimmten Periode – bescheiden und selbstbewusst, versöhnend und kämpferisch, individualistisch und sich der Gemeinschaft einordnend, freiheitlich und egalitär, patriotisch und kosmopolitisch. Er konnte Menschen unterschiedlicher Auffassungen für sich einnehmen, indem er ihnen das Gefühl gab, sie zu verstehen und ihre Anliegen aufzunehmen, ob es sich um einen Kreis von Betriebsräten und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten oder um eine Runde von Wissenschaftlern handelte.“
Willy Brandt – Stimmen zum 100. Geburtstag. Reden und Beiträge im Erinnerungsjahr 2013 (Schriftenreihe der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung, H. 27), S. 64

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